20200507 BRD BMI CORONAKRISE 2020 KRITISCHER BERICHT EINES REFERENTEN (zugespielte Informationen)
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Inhaltsverzeichnis PDF-Seite 90-91 bezeichnet als Seite 82-83(83)
Anlage 1 PDF-Seite 92-93 bezeichnet als Seite 1-2(2)
PDF-Seite 9-57: Seite 1-49(83)
Transkription:KM 4 –
51000/29#2 25. April 2020/ 7. Mai 2020
Version: 2.0.1
AUSWERTUNGSBERICHT des Referats KM 4 (BMI) erstellt von ?????????????
Coronakrise 2020 aus Sicht des Schutzes Kritischer Infrastrukturen Auswertung der bisherigen Bewältigungsstrategie und Handlungsempfehlungen
Folgende Prämissen liegen meiner Arbeit zu Grunde:
1. Handlungsleitend und Grundlage von Entscheidungen sollten wahrheitsgemäße, fundierte Sachverhaltsbeschreibungen sein.
2. Das Handeln von verantwortlichen Menschen sollte rational sein
3. Die in demokratischen Wahlen bestimmten Regierungen (Exekutive) auf den Ebenen Bund, Land und Kommune, haben als höchstes Ziel, die materiellen und ideellen Interessen der Bevölkerung zu wahren, zu schützen, zu garantieren.
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0. Vorwort Die erst wenige Wochen alte Coronakrise dürfte zu den größten Herausforderungen gehören, mit denen unser Land es je zu tun hatte. Die Krisenstäbe, und das Krisenmanagement als Ganzes, leisten mit hohem persönlichem Einsatz eine extrem wichtige und zugleich die schwierigste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Das Krisenmanagement entscheidet faktisch über Leben und Tod. Es bestimmt mit seinen Entscheidungen, wem unsere Gesellschaft eine Überlebenschance gibt, und wen sie sterben lässt. Jeden Tag aufs Neue. Für wen werden welche Behandlungsmöglichkeiten reserviert und wem wird die Behandlung wie z.B. eine geplante wichtige OP versagt. Weitere Werte unserer Gesellschaft sind bedroht, materielle (zu denen die Gesundheit gehört) wie ideelle. Auch ein Gemeinwesen kann „sterben“.
Entscheidungen zu treffen ist unvermeidbar. Ich möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass die Abwägungsprozesse so professionell wie möglich erfolgen können.
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1. Einführung
1.1 Aufgaben und Arbeitsweise des Referats KM 4:
Referat KM 4 hat den Auftrag (Anlage 1), sich eine eigene Bewertungskompetenz zum
KRITIS-Schutz aufzubauen und auf dieser Basis Stellungnahmen eigeninitiativ und in
Beteiligungsverfahren abzugeben. Dies ist eine solche Stellungnahme.
KM 4 soll weiterhin auf die Konsistenz des KRITIS-Schutzes, die sich vor allem wegen
vielfacher Interdependenzen der Sektoren ergeben, hinwirken. Das ist ein Schwerpunkt der
vorliegenden Ausarbeitung. Für entsprechende Konzepte und Strategien hat, solange nicht
ausschließlich IT-Belange berührt sind, KM 4 im Hause die Federführung und arbeitet eng
zusammen mit: den Bundesressorts, den Bundesländern, der EU, KRITIS-Betreibern,
Verbänden sowie sonstigen betroffenen Institutionen, und kümmert sich um supra-und
internationale Angelegenheiten. KM 4 bedient sich u.a. der Zuarbeit des BBKs, über das KM
4 zu allen Angelegenheiten im KRITIS-Kontext die Fachaufsicht ausübt. Für die Erstellung
dieses Berichts wurden vielfältige Kontakte zu den genannten Stellen aktiviert. Der
Gesamttext ist jedoch nicht abstimmt, sondern wird als eigenständige Expertise mit
Empfehlungen vorgelegt.
1.2 Warum diese Auswertung?
Große Katastrophen wie die einer Pandemie treten sehr selten ein. Die Behörden, die für die
Bewältigung von Krisen zuständig sind, üben zwar regelmäßig verschiedene
Gefährdungsszenarien, unter anderem auch den Fall einer Pandemie, aber sie können
alleine dadurch keine ausreichende Erfahrung sammeln, um in einer real eintretenden Lage
routiniert agieren zu können. In der akuten Krise nutzen sie bestehende Strukturen, Prozesse
und im Vorhinein (teils gesetzlich) festgelegte Verfahren, die in der Vergangenheit nach jeder
der wenigen Übungen optimiert wurden. Der Rest wird improvisiert.
Die aktuelle Coronakrise zeichnet sich durch eine doppelte Gefährdungslage für unsere
Gesellschaft und ihre Kritischen Infrastrukturen aus:
zeitlicher Beginn Gegenstand der Gefahr Risikopotential für KRITIS
Ende 2019 gesundheitliche Gefahren durch den neuen
Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)
(Gesundheitskrise); u.a. Risiken für die Versorgung
mit kritischen Dienstleistungen ?
seit etwa Mitte
März 2020
multiple Gefahren unterschiedlicher Art, die durch
Maßnahmen, die zum Schutz vor den
gesundheitlichen Gefahren ergriffen wurden,
ausgelöst werden (Wirtschafts-und
Gesellschaftskrise); u.a. Risiken für die Versorgung
mit kritischen Dienstleistungen
?
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Die beiden Gefahrenlagen gehen ohne zeitliche Unterbrechung in einander über. Für eine
ausführliche und systematische Auswertung des bisherigen Krisenmanagements haben die
operativ darin agierenden Organisationseinheiten und Beschäftigten daher keine Gelegenheit
und Zeit. Alleine dieser Sachverhalt schafft neue Risiken und Gefahren. Der hier vorgelegte
Bericht soll Abhilfe schaffen. Er betrachtet die Lage aus der Perspektive des strategischen
Schutzes Kritischer Infrastrukturen.
Es handelt sich ausdrücklich nicht um ein Produkt für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern um
einen internen Bericht, der keinen anderen Zweck verfolgt, als einen fachlich fundierten
Impuls zur Optimierung des Krisenmanagements und zur Maßnahmenplanung zu leisten.
Dieser Bericht ist schonungslos offen –
aufgrund seiner Dringlichkeit musste darauf verzichtet
werden, die Inhalte in schönere Worte zu verpacken. Die Leser mögen den direkten Stil
nachsehen und sich vor allem des inhaltlichen Kerns dieser Arbeit bedienen.
Sofern interne Arbeitsprozess reflektiert werden, geschieht das ausschließlich unter streng
fachlichen Aspekten.
1.3 Wen und was
meine ich mit „Krisenmanagement“ in diesem Bericht?
In technisch-organisatorischer Hinsicht besteht das Krisenmanagement aus den
professionellen Lagedienste und Krisenstäbe sowie die ihnen zuarbeitenden Stellen –
jeweils
beim Bund und in den Bundesländern. Die wichtigsten und auswirkungsstärksten
Entscheidungen werden auf der Ebene von Behördenleitungen und der politischen Leitung
der Ministerien getroffen. Daher gehören auch diese Akteure zum Krisenmanagement. Die
erste Gruppe bildet das operative Krisenmanagement, die zweite das strategische.
Die Beziehungen dieser beiden System-Komponenten untereinander müssen untersucht und,
wie sich zeigt, verbessert werden. Nicht nur zur Verbesserung der Ausgangslage in
zukünftigen Lagen, sondern –
ganz besonders dringend –
noch jetzt, mitten in der Corona-
Krise. Suboptimale Verfahren im Zusammenspiel von operativem und strategischem
Krisenmanagement können zu schwerwiegenden Fehlleistungen führen und für unsere
Gesellschaft ruinöse Schäden auslösen. Solche, sich derzeit abzeichnende Schäden stehen
nicht mehr im Entferntesten mit den möglichen gesellschaftlichen Schäden durch den Covid19
Virus in einem annehmbaren Verhältnis, sie werde diese um ein Vielfaches übertreffen.
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1.4 Der Schutz Kritischer Infrastrukturen
Beim Schutz Kritischer Infrastrukturen geht es außerhalb von Krisenzeiten –
also fast immer –
um Maßnahmen, mit denen eine Gesellschaft sich vor möglichen Gefahren präventiv
schützen will, oder wie beim Eintreten einer Gefahr, der Schaden möglichst gering gehalten
werden soll. Um diese Ziele zu erreichen wird versucht, auf der Basis vorheriger
Gefährdungs-und Risikoanalysen, ein höheres Schutzniveau Kritischer Infrastrukturen
aufzubauen und/oder die gesellschaftliche (System-)Resilienz so zu erhöhen, dass das
gesellschaftliche Gesamtsystem –
einschließlich seiner Kritischen Infrastrukturen –
weniger
anfällig und insgesamt weniger verletzlich durch eine Störung oder auch den Ausfall einzelner
Kritischer Infrastrukturen ist.
Der Schutz Kritischer Infrastrukturen ist aus verschiedenen Gründen eine anspruchsvolle
Aufgabe:
x
Es muss mit einer sehr großen Zahl potentieller Gefahren umgegangen werden, deren
Eintritt zwar in den meisten Fällen (zu denen Szenarien gebildet werden können)
relativ klein ist, die jedoch trotz geringer Wahrscheinlichkeit grundsätzlich jederzeit
eintreten können. Also auch mit einem Schaden, der statistisch nur alle 100.000 Jahre
eintritt, könnten wir schon morgen konfrontiert sein.
x
Die Kritischen Infrastrukturen moderner und erfolgreicher Gesellschaften sind
hochkomplexe Systeme von großer Interdependenz ihrer Teilfunktionen. Ein
schwerwiegendes Problem in einem einzigen Teilsystem kann zu einem existenziellen
Problem des gesamten Clusters Kritischer Infrastrukturen führen (besonders
anschaulich im Szenario des Strom-Blackouts oder beim Ausfall des Internets).
x
Die für den Schutz Kritischer Infrastrukturen einsetzten Ressourcen sind naturgemäß
begrenzt, der Gegenwert für Aufwendungen ist nicht sichtbar. Sichtbar und erfahrbar
wird jedoch ein Schaden, der eintritt, wenn der Schutz vernachlässigt wurde. Die
Entscheidung für oder gegen zusätzliche Schutzmaßnahmen erfolgen meist aus
Zielkonflikten heraus (z.B.: Preis des betroffenen Produktes oder Dienstleistung
soll/muss gering sein, entgegengesetzte Interessen werden als prioritär angesehen,
etc.).
Aufgrund dieser Besonderheiten kann sich auch die deutsche Gesellschaft nicht auf jede
Eventualität vorbereiten, es bleiben stets Restrisiken. Restrisiken sind Risiken, auf die wir
uns nicht vorbereitet haben und auch nicht vorbereiten werden –
z.B. weil das nicht möglich
ist, oder weil es nicht verhältnismäßig erscheint. Die Einschätzung der Verhältnismäßigkeit
nimmt die Gesellschaft explizit vor (indem die vom Volk gewählten Politiker ihrer
Einschätzung gemäß handeln oder ausdrücklich nicht handeln) oder implizit (indem keine
Initiative erfolgt, sich handlungsorientiert mit bestimmten Risiken auseinanderzusetzen).
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Dass Restrisiken verbleiben, ist weder gut noch schlecht, es ist unvermeidbar. Es lohnt nicht,
damit zu hadern.
Gerade weil es ohnehin immer Restrisiken geben wird, kommt es sehr darauf an, die für den
KRITIS-Schutz verfügbaren Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen, und vor allem: bei
der Einschätzung von Gefahren ganz besonders sorgfältig zu arbeiten. Dieses Motiv ist der
rote Faden durch dieses Papier.
1.5 Referat KM4 als Ressource bei der Krisenbewältigung
In der Krise hat der Schutz Kritischer Infrastrukturen zwei Hauptaufgaben. Die eine besteht
darin, den Schutz Kritischer Infrastrukturen operativ zu unterstützen (Einbringen der eigenen
Expertise und Netzwerke ins Krisenmanagement, Monitoring des Status Quo‘s Kritischer
Infrastrukturen, methodische Beratung). Die andere, die strategische Aufgabe der KRITIS-
Schützer besteht in der Krisensituation darin, die Auswirkungen der jeweiligen Krise aufdas generelle Sicherheitsniveau Kritischer Infrastrukturen und auf das Resilienzniveau
unserer Gesellschaft zu analysieren und zu bewerten, und in das Krisenmanagementeinfließen zu lassen. Diese strategische Perspektive wird in diesem Papier behandelt.
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2. Wie waren das BMI (und die BReg) auf die Krisensituationvorbereitet?
Eine Pandemie wurde in der Vergangenheit mehrfach durch Bundesbehörden geübt und es
gibt zahlreiche Empfehlungen für das Krisenmanagement in einer Pandemie, die sich
einerseits aus den Erfahrungen mit den Übungen speisen, aber auch Ergebnis von
Expertisen sind, die in den letzten Jahren im BMI mit seinen nachgeordneten Behörden unter
Einbeziehung weiterer Fachleute (u.a. des RKI) erarbeitet wurden. In diesem Kapitel werden
zunächst grundlegende Vorarbeiten ausgewertet und anschließend die Lükex-Übung 2007
und die Risikoanalyse aus 2012, den die BReg 2013 dem Parlament vorgelegte.
2.1 Hinweise und Warnungen in früheren Arbeiten zum
Bevölkerungsschutz
Dem BMI war in einer Expertise der im eigenen Geschäftsbereich angesiedelten
Schutzkommission (zwischenzeitlich aufgelöst) bereits 2006 mitgeteilt worden, dass in einer
Virus-Pandemie von den Schutzmaßnahmen eine größere Gefahr für die Bevölkerung
ausgehen kann, als durch die Erkrankung selbst. Das war noch nicht einmal auf eine
Wirtschaftskrise gemünzt, sondern explizit auf Kritische Infrastrukturen.
Zitat: „In diesem Zusammenhang wird auch die Planung von Maßnahmen zur
Abschwächung von Kollateraleffekten auf die Infrastruktur dringend
empfohlen, da hierdurch (etwa durch Ausfälle des Transports, der
Lebensmittel-oder Energieversorgung) eine größere Gefährdung der
Bevölkerung ausgehen kann als durch die Influenza selbst.“
Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden
Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe
biologische Gefahren
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05 a.pdf?__blob=publicationFile
Dass die Pandemieplanung darauf ausgerichtet sein muss, die Gefährlichkeit sorgfältig
abzuschätzen und mit den Gefahren, die von Schutzmaßnahmen ausgehen können
abzugleichen, ergibt sich u.a. aus einer zweiten Aussage der gleichen Expertise. Diese
Empfehlung wurde nicht ausreichend beachtet.
Zitat: „Zuvorderst erforderlich ist eine Modifikation der Pandemieplanung
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Influenza-Pandemieviren in
ihrer Gefährlichkeit (Pathogenität) erheblich unterscheiden. Für ein Worst-
case-Szenario nach dem Vorbild der „Spanischen Grippe“ von 1918
existieren bisher keine adäquaten Planungen.“
Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden
Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe
biologische Gefahren
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05 a.pdf?__blob=publicationFile
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Für den Fall, dass die von Bevölkerungsschutzbehörden bereits seit Jahren erwartete
Pandemie ausbrechen würde, hätten u.a. präventiv spezielle Schwerpunktkliniken
eingerichtet werden sollen. Diese Empfehlung wurde offenbar nicht umgesetzt. Wir erleben
heute in fataler Weise die Auswirkungen davon, dass man an dieser Stelle meinte sparen zu
müssen. Die Zahl der Krankenhäuser ist in DEU in den letzten Jahren um 20 Prozent
gesunken.
Zitat: „Die Umsetzung der im Nationalen Pandemieplan empfohlenen
Maßnahmen kommt nach Ansicht der Arbeitsgruppe auf Länderebene
teilweise zu langsam voran und ist nicht vollständig. Nur wenige
Bundesländer haben ihre Pandemiepläne weitgehend fertig gestellt. Die
dringend empfohlene Einrichtung von Schwerpunktklinken wurde aus
Kostengründen kaum realisiert. Auch die Beschaffung von erforderlicher
Ausstattung sowie Ausbildung und Übung sind auf der operativen Ebene
nicht genügend realisiert. Wir empfehlen daher, die Pandemiepläne der
Länder eilig fertig zu stellen und die Vorgaben des Nationalen
Pandemieplanes umzusetzen.“
Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden
Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe
biologische Gefahren
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05 a.pdf?__blob=publicationFile
Nicht einmal die Mitarbeiter des Krisenstabs wurden in der Coronakrise 2020 systematisch
gegen alle auch nur entfernt ähnlichen Erkrankungen geimpft. Auch das war eine empfohlene
Maßnahme des gleichen Schutzkommission-Berichts. Zwar kann mit so einer Maßnahme
bestenfalls eine Teilimmunität erreicht werden, aber auch die könnte möglicherweise für
einen betroffenen Mitarbeiter über Leben und Tod entscheiden –
und für den Dienstherrn die
Verfügbarkeit oder nicht-Verfügbarkeit eines für das Krisenmanagement dringend benötigten
Personalressource bedeuten.
Zitat: „Da bei einer eventuellen Anpassung des gegenwärtig grassierendenVogelgrippevirus H5N1 an den Menschen eine besonders schwere
Pandemie zu erwarten ist, empfiehlt die Arbeitsgruppe die umgehende
Bestellung einer geringen Menge humanen Impfstoffs gegen H5N1 (ca. 2-
4 Mio. Dosen), um ggf. für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur
unverzichtbare Personen schützen zu können. Auch bei einem eventuellen
genetischen Drift der H5N1 Variante Typ Asia wird dieser Impfstoff
wahrscheinlich zumindest eine Teilimmunität verleihen.“
Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden
Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe
biologische Gefahren
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05 a.pdf?__blob=publicationFile
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 8 von 83
In einer anderen Stellungnahme der Schutzkommission (zu Ebola, aus 2014) wurde darauf
hingewiesen, dass von wirksamen Maßnahmen zum Schutz vor epidemischen Krankheiten
Gefahren für unsere Gesellschaft ausgehen, die beachtet werden müssen. Auch hier werden
ausdrücklich die Kritischen Infrastrukturen adressiert, sowie wirtschaftliche Risiken, die in
DEU (im Gegensatz zu anderen OECD-Ländern wie z.B. die USA) nicht als KRITIS behandelt
werden. -Dieser Aspekt sollte bei der Weiterentwicklung der nationalen KRITIS-Strategie
Deutschlands unbedingt einbezogen werden.
Zitat: „Im Extremfallkönnen irrationale Ängste dazu führen, dass Teile der
Bevölkerung jeden Kontakt mit Fremden meiden und sich von
vermeintlich gefährlichen Ansammlungen fernhalten. In der Folge sind
Arbeitsausfälle und –wenn kritische Dienste, Versorgung
oder Infrastruktur betroffen sind –auch Störungen des öffentlichen
Lebens in Betracht zu ziehen.
Aus diesen Gründen könnten einzelne Ebola-Fälle, obgleich sie in
Deutschland für das Gesundheitssystem gut beherrschbar wären, mit
erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Risiken verbunden sein.“
(letzte Hervorhebung wie im Original)
Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des
Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und
Handlungsempfehlungen, Seiten 5-6
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.p df?__blob=publicationFile
In der gegenwärtigen Krise wurde vielfach das Agieren anderer Staaten als Vorbild oder
Muster herangezogen, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht vergleichbar sind.
DEU verfügt über eine sehr viel bessere Gesundheitsinfrastruktur als die meisten anderen
Länder und hat insbesondere höhere Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende,
lebensbedrohliche Erkrankungen als jeder andere Industriestaat. Auch die Datenlage, die für
die Ermittlung des Gefährdungspotentials wichtig ist, ist in DEU vergleichsweise umfangreich
und detailliert.
Zitat: „Die Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende, lebensbedrohliche
Erkrankungen sind höher als in jedem anderen Industriestaat.“
Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des
Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und
Handlungsempfehlungen, Seite 6
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.p df?__blob=publicationFile
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Die Schutzkommission hatte 2014 ausdrücklich empfohlen, im Krisenfall ein wissenschaftlich
begründetes, optimiertes Sicherheitskonzept zu erstellen.
Zitat: „13. Erstellung eines wissenschaftlich begründeten, optimierten
Sicherheitskonzeptes für in das Epidemiegebiet entsandte Helfer
(Infektionsschutz unter Feldbedingungen, ärztliche Betreuung vor
Ort, Rückholung im Infektionsfall usw.). Dies ist die einzige effektive
Maßnahme, mit der präventiv der Import von Ebola-Infektionen
verhindert werden kann.“
Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des
Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und
Handlungsempfehlungen, Seite 8
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.p df?__blob=publicationFile
Ein Sicherheitskonzept erfüllt nicht alleine dadurch die wissenschaftliche Begründetheit, dass
Wissenschaftler einbezogen wurden. Denn die Wissenschaft als Gesamtkonzept zeichnet
sich vielfach durch heterogene Theorienbildung, Meinungen und Einschätzungen von
Wissenschaftlern aus. Das bedeutet einerseits, dass man für nahezu jede Aussage eine
bestätigende wissenschaftliche Meinungs-Aussage (Expertise) erhalten kann, aus einer
Meinung von Wissenschaftlern also kein Anspruch auf Wahrheit ableitbar ist. Von
größtmöglicher Wahrheit kann man alleine bei Aussagen ausgehen, zu denen es einen
vollständigen Konsens gibt, weil sie bewiesen worden sind, und sich dieser Beweis jederzeit
überprüfen lässt.
Bei präventiven Maßnahmen ist es sinnvoll, mögliche Risiken nach folgender Definition zu
beschreiben:
Zitat: „Im Rahmen einer Risikobewertung bedeutet der Begriff „Risiko“
das Potenzial eines Ereignisses, die öffentliche Gesundheit zu
beeinträchtigen, basierend auf der Wahrscheinlichkeit seines
Eintretens und dem Ausmaß seiner Auswirkungen.“
Quelle: Oktober 2019, RKI: RAHMENKONZEPT MIT HINWEISEN FÜR MEDIZINISCHES FACHPERSONAL
UND DEN ÖFFENTLICHEN GESUNDHEITSDIENST IN DEUTSCHLAND, Epidemisch bedeutsame
Lagen erkennen, bewerten und gemeinsam erfolgreich bewältigen, Seite 17
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Preparedness_Response/Rahmenkonzept_Epidemis che_bedeutsame_Lagen.pdf?__blob=publicationFile
Sinnvoll ist diese Abschätzung von Gefahren und Risiken, weil sie eine Priorisierung von
präventiven Schutzmaßnahmen ermöglicht.
Wenn es, wie in der vorliegenden Krise, gleichzeitig zwei Gefahren gibt, müssen diese nach
dieser Methode miteinander verglichen werden. Die methodischen Anforderungen für den
Nachweis von Wahrscheinlichkeit des Eintretens und das Ausmaß seiner Auswirkungen
müssen identisch sein. Sonst kann man die Auswirkungen nicht vergleichen.
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Zu beachten ist, dass die eine der beiden gegenwärtigen Gefahren, der Corona Virus, extern
verursacht ist, und große Unsicherheiten bestehen einzuschätzen, wie die von ihm
ausgehenden Gefahren gemindert werden können, während wir die Dynamik der zweiten
gegenwärtigen Gefahr, die Wirtschafts-und Gesellschaftskrise, relativ gut kennen
(Erfahrungen mit der Finanzkrise 2009) und sie vollständig steuern können –
jedenfalls
solange sie keine unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt. Und gerade weil diese Gefahr
besteht, muss eine sehr sorgfältig und intensiv betriebene und ganzheitlich-systemisch
angelegte Gefahrenabschätzung vorgenommen werden.
Das Problem paralleler Risiken ist aus der Medizin bekannt. Wenn ein Tumor in ein
lebenswichtiges Organ eingewachsen ist, kann man ihn nicht einfach herausschneiden.
2.2 Hinweise und Warnungen in Publikationen, Broschüren und Reden
Dass die Bewertung von bundesweiten Gefährdungen („bundesweite Risikoanalyse“) noch
nicht ausreicht und dringend verbessert werden muss, ist seit über zehn Jahren bekannt.
Dieses Anliegen war bei der letzten Änderung des ZSKG (2009) noch nicht integriert worden.
2012 stellte der damalige Leiter der Katastrophenschutzabteilung des BMI fest, dass zwar
wesentliches bei der Verbesserung von Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erreicht
sei, aber insbesondere die bundesweite Risikoanalyse noch abgearbeitet werden müsse.
„Als neue Instrumente
in der Bund-Länder-Zusammenarbeit wurden das Gemeinsame
Melde-und Lagezentrum des Bundes und der Länder, die Datenbank deNIS für das
Informations-und Ressourcenmanagement, das satellitengestützte Warnsystem des
Bundes und als organisatorischer Schwer punkt das Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gegründet. Das BBK verknüpft alleBereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge zu einem wirksamen Schutzsystem für die
Bevölkerung
und ihre Lebensgrundlagen („Bevölkerungsschutz“) und unterstützt mit
Ausstattung und Expertise die Länder bei Großschadenslagen
(„Katastrophenhilfe“).Die großen Entscheidungen im Bevölkerungsschutz sind damit
gefallen. Die „Neue Strategie“ ist –
letzter wesentlicher Schritt war das neue Gesetz
über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes im Jahr 2009 –
im
Wesentlichen umgesetzt, auch wenn noch einige Punkte abzuarbeiten sind, so die
bundesweite Risikoanalyse.“
(Norbert Seitz, aus: Schriften zur Zukunft der Öffentlichen
Sicherheit, Das Undenkbare denken, Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, 2012, ab
Seite 36)
Ebenso ist lange bekannt, dass bei Großschadenlagen wie einer Pandemie systemische
Zusammenhänge zu beachten sind.
„Wollte man versuchen Risiken und Gefahren
für unsere Gesellschaft
zusammenzutragen, würde man eine Liste ganz unterschiedlicher Phänomenezusammenstellen können, wie bereits vielfach geschehen: Ausfall kritischer
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Infrastrukturen, Naturgefahren, Pandemien sowie Terrorismus und (Cyber-)
Kriminalität. Die Aufzählung ließe sich problemlos erweitern. Entscheidend ist jedoch,
dass die benannten Gefahren und Risiken etwas gemeinsam haben: Sie haben
systemischen Charakter. Nach Renn et al. beziehen sich systemische Risiken auf
„hochgradig vernetzte Problemzusammenhänge, mit schwer abschätzbaren
Breiten-und Langzeitwirkungen, deren Beschreibung, Kategorisierung und
Bewältigung mit erheblichen Wissens-und Bewertungsproblemen verbunden
sind2“ [zitiert nach Renn, Ortwin/Schweizer, Pia J./Dreyer, Marion/Klinke, Andreas
2007: Risiko. Über den gesellschaftlichen Umgang mit Risiko, München:176]“ (Marie-
Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität –
vom mühsamen Umgang mit systemischen Risiken, aus: Schriften zur Zukunft der
Öffentlichen Sicherheit, Das Undenkbare denken, Zukunftsforum Öffentliche
Sicherheit, 2012, Seite 32)
Die Wechselwirkungen von Maßnahmen des Gesundheitsschutzes mit anderen
gesellschaftlichen Bereichen, waren anschaulich in der letzten weltweiten Krisensituation
(Finanzkrise 2009) deutlich geworden. An dieser Erkenntnis hätte das Krisenmanagement in
der Coronakrise stärker ausrichtet werden können und müssen.
„(…) Beispiel ist die derzeitige Finanzkrise, die als US-Immobilienkrise startete, auf den
Bankensektor übersprang, sich zur Staatenkrise entwickelte und derzeit wieder die
Banken in Bedrängnis zu bringen scheint. Als weitere Nebenfolgen wird der
Vertrauensverlust der Bevölkerung in das Finanz-und Wirtschaftssystem sowie ein
Legitimitätsverlust der Demokratie in den
Medien
diskutiert.“ (Marie-Luise Beck und
Dr. Lars Gerhold, FOES, ebd., Seite 32)
Das Krisenmanagement 2020 hat diese Wechselwirkungen nicht systematisch miterfasst und
in ihrer Wirkung nicht gegengerechnet. Durch diese arbeitstechnische Fehlleistung war es
nicht möglich, rechtzeitig zu erkennen, wann die Kollateralschäden die beabsichtigte Wirkung
überkompensieren würden.
Das BMI, das eine Grundsatzzuständigkeit für den Schutz Kritischer Infrastrukturen hat, und
diese auf ihrer Website umfassend bewirbt (siehe Screenshot in Anlage 2), hätte die
Eigenartigen von Kritischen Infrastrukturen bedenken und aktiv Überlegungen dazu in das
Krisenmanagement einbeziehen müssen.
„(…)
Ursache-Wirkungs-Bezüge, die in ihren Verästelungen kaum bekannt,
geschweige denn beherrschbar sind. Ein Beispiel sind die Interdependenzen von
Kritischen Infrastrukturen und ihre kaskadierenden Effekte bei Störungen, aber
auch Infektionserkrankungen, bei denen es keinen eindeutigen Dosis-Wirkungs-
Zusammenhang gibt und wo durch unterschiedliche Inkubationszeiten die Ursache
(Ansteckung) und
Auswirkung (Erkrankung) zeitlich extrem auseinander liegen kann.“
(Marie-Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, ebd., Seite 33)
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 12 von 83
In einer Krise auf Vorgaben der EU zu warten erscheint wenig hilfreich, da dort in der Regel
ein Minimalkonsens zustande kommt, der unter manchen wichtigen deutschen Standards zu
liegen droht. Dass die europäischen Schutzmaßnahmen zu KRITIS nicht ausreichen, stellte
im Übrigen der frühere Bundesinnenminister de Maizière 2015 in einer Rede heraus.
„Auch beim Schutz kritischer Infrastrukturen, also der für unsere Gesellschaft so
bedeutsamen Einrichtungen wie Strom-, Wasser-und Energieversorgung, das Funktionieren
der Bankensysteme, der Versicherungssysteme, besteht auch in
Europa Handlungsbedarf.“
(Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière auf dem Forum International de la
Cybersécurité am 20. Januar 2015 in Berlin)
In seiner Zeit als Bundesinnenminister erteilte de Maizière seinem Haus bereits 2015 den
Auftrag, die nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen weiter zu entwickeln
und er gab einen konzeptionellen Rahmen dafür vor. Seitdem wurde dieses Thema
stiefmütterlich behandelt. Das Vorhaben ist trotz jahrelanger Arbeiten immer noch weit von
einem Ergebnis entfernt. Der Grund liegt –
nach meiner Erkenntnis als erster Leiter dieses
Projekts -in vielfachen administrativen Ungeschicklichkeiten und Fehlleistungen des eigenen
Hauses (bei Bedarf, gerne ausführlicher). Die Auswirkungen zeigen sich heute: Die erneuerte
KRITIS-Strategie sollte nach dem Willen des damaligen Bundesministers als erstes Element
eines neuen KRITIS-Pakets Impulsgeber und Auftakt für ein KRITIS-Regierungsprogramm
mit weitergehenden Maßnahmen zum Schutz Kritischer Infrastrukturen bilden, um die
Resilienz unserer Gesellschaft nachhaltig zu verbessern. Dadurch, dass in den fünf Jahren
seit Auslösen des Arbeitsauftrags noch nicht einmal ein symbolisches Strategiepapier erstellt
werden konnte, kam auch der weitergehende Prozess nicht in Gange. Die Resilienz wurde
nicht wie vorgesehen verbessert. Ich komme später darauf zurück.
3. Auswertungen früherer Übungen
Wie funktionieren Krisen-Übungen?
Die Auswertung von Übungen offenbaren regelmäßig schwerwiegende Defizite in den
Vorgaben und auch Fehler von an der Übung Beteiligten. Diese Defizite und Fehler werden
analysiert und aus ihnen werden Hinweise und neue Vorgaben (Verfahren) für den Ernstfall
destilliert. Es liegt gewissermaßen in der Natur und in dem Zweck einer Übung, dass sie in
einem Desaster endet. Wenn das nicht geschieht, war die Übung zu einfach, dann lernt man
nichts daraus. Lernen aus Fehlern ist der kritische Erfolgsfaktor für das Krisenmanagement.
3.1 Lükex 2007
In der großen Krisen-Übung von Bund und Ländern 2007 (LÜKEX) wurde eine Pandemie
geübt. Im Ergebnis wurde genau das beschrieben, was heute eines der großen Probleme der
Krisenbewältigung ist. Die ressortübergreifende Risikobetrachtung war mangelhaft. Die
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 13 von 83
gleichen Defizite bestehen noch heute, es wurde aus der Übung nichts gelernt. Das führt
heute dazu, dass immer noch das gesundheitliche Risiko Gegenstand des einen Krisenstabs
ist, der mit seinen Maßnahmen zusätzliche Gefahren schafft, die so groß werden, dass
weitere Krisenstäben gebildet werden müssen, die nunmehr parallel agieren. Weder die
Risikoanalyse noch die Maßnahmenplanung werden zusammengeführt.
Zitat: „Eine ganzheitliche und ressortübergreifende Risikobetrachtung ist nur
ansatzweise festzustellen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Defizite
in der genauen Identifizierung, der korrekten Bewertung, der
entsprechenden Behandlung und der Beobachtung der Risiken, die eine
angemessene Ressourcenplanung erschweren.“
Quelle: 2007 Auswertungsbericht über die LÜKEX 2007 (Pandemie-Szenario), Seite 22 unten
??
Außerdem werden die Risiken der Gesundheitskrise als die schwerwiegenderen angesehen
und zu den entscheidungsleitenden gemacht, obwohl gar kein Vergleich stattgefunden hat.
Ein extrem schwerwiegendes Defizit und zugleich massiver handwerklicher Mangel eines
Krisenmanagements besteht in der unzureichenden Risikoermittlung durch das
Krisenmanagement. Wenn für die Ermittlung der gesundheitlichen Gefahren für unsere
Gesellschaft (nicht die einzelnen individuellen Gefahren) punktuelle aktuelle Daten verwendet
werden, deren Bedeutung für die Gefahrenqualität sich erst aus einem Abgleich mit anderen,
umfassend verfügbaren Daten erschließen (insbesondere die Zahlen zu an einem Virus
verstorbenen), so muss dieser Abgleich eingeplant und durchgeführt werden.
Zum Vergleich: Wenn ich die Gefährlichkeit eines starken Regens einschätzen will, muss ich
wissen, wie viel Regen ungefährlich ist, bzw. regelmäßig keine Schutzmaßnahmen erfordert,
und ich werde ermitteln, um wie viel dieses Level voraussichtlich überstiegen werden wird.
Auch durch normalen Regen entstehen regelmäßig Schäden. Ob vor einem stärkeren Regen
zu warnen ist, weil deutlich mehr Schaden entstehen wird, oder ob zur Abwehr der
zusätzlichen Schäden sogar massive Schutzmaßnahmen nötig sind, hängt davon ab, um wie
viel Wasser der erwartete Starkregen über der durchschnittlichen Regenmenge liegt und in
welchen (gesellschaftlichen) Bereichen sich dieses mehr an Regenwasser in welcher Weise
auswirkt.
Das bedeutet: Erst wenn ich weiß, ob und wie viele über der durchschnittlichen Menge an
Todesfällen liegende Todesfälle durch einen Virus ausgelöst werden, und wenn ich weiß,
welche funktionalen Bereiche der Gesellschaft voraussichtlich betroffen sein werden/können,
kann ich angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen konzipieren, um der Pflicht des
Katastrophenschutzes nachzukommen, große nationale Gefahren von unserer Gesellschaft
abzuwenden.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 14 von 83
Ob einem Krisenmanagement, das dies versäumt hat, zur Last gelegt werden kann, dass es
falsche (unangemessene, unwirksame, unnötigen Schaden auslösende) Entscheidungen
getroffen hat, lässt sich schwer mit hundertprozentiger Sicherheit sagen –
aber leider mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass
Schutzmaßnahmen beschlossen wurden, ohne die Gefahr auch nur so gut zu kennen und so
einschätzen zu können, wie es möglich gewesen wäre, wenn es eine sachgerechte
Risikoanalyse gegeben hätte. Die Wahrscheinlichkeit, durch den Verzicht auf umfassende
Vergleiche und vollständige Risikoanalyse zu falschen Maßnahmen zu gelangen, geht gegen
100 Prozent. Es wäre reiner Zufall, wenn die ergriffenen Maßnahmen weder zu stark noch zu
schwach wären, sondern ganz genau die richtigen. Krisenmanagement droht in einer
derartigen Krise zu etwas zu werden, was es nicht sein sollte: ein überwiegend spekulatives
Geschäft mit dem Schicksal unseres Gemeinwesens und unserer Bevölkerung.
3.2 Auswertung der Risikoanalyse aus 2012 und Bezüge zur aktuellenKrise
Der Bund hat den gesetzlichen Auftrag zur Durchführung von Risikoanalysen im Bereich des
Bevölkerungsschutzes –
nach § 18 Absatz 1 Satz 1 des Zivilschutz-und
Katastrophenhilfegesetzes des Bundes (ZSKG). In diesem Rahmen wurde 2012, fachlich
federführend durch das BBK, aber unter Einbeziehung aller einschlägigen Bundesressorts
und ihrer Geschäftsbereichsbehörden, eine Risikoanalyse erarbeitet, die seither allen
Bundes-und Landesbehörden zur Verfügung steht. Der simulierte Pandemieverlauf wurde
vom RKI beigesteuert.
Der Kontrast zwischen der gegenwärtigen Krise und dem Schreckens-Szenario der
Risikoanalyse könnte kaum größer sein (BT-Drucksache 17/12051 vom 03. 01. 2013,
Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz
2012).
Die Gefahren und Auswirkungen, die generell von Schutzmaßnahmen ausgehen, wurden
zwar auch in der Risikoanalyse benannt. Es wurde davon ausgegangen, dass irgendjemand
die richtigen Zahlen liefert. So wie heute.
Nachdem wir 2020 erfahren, dass Schutzmaßnahmen gegen eine sehr viel harmlosere
Pandemie bereits härtere Kollateralschäden erzeugen können, erscheint das damals zu
Übungszwecken konstruierte Szenario in manchen Punkten unrealistisch. Bei einer derartig
schweren Pandemie, wie in dem Übungsszenario des BBK, würde man nach dem heutigen
Erfahrungsstand sehr viel negativere und desaströsere Auswirkungen auf unserer
Gesellschaft und für die Bevölkerung veranschlagen. An manchen Punkten wird das
besonders deutlich und wirft ein Licht auf das aktuelle Krisengeschehen:
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 15 von 83
x
Bei einer wirklich schweren Pandemie mit Millionen Toten (wie in der Risikoanalyse
2012) wäre es nicht mehr nötig, eine Ausgehsperre zu verhängen. Die Menschen
würden von sich aus nicht mehr aus ihrem Haus gehen, wenn um sie herum gestorben
wird und jeder falsche Kontakt den Tod innerhalb weniger Tage bedeuten kann.
x
Andererseits würde sich bei einer gefährlichen und gesundheitlich unmittelbar
folgenschweren Pandemie auch keiner mehr an solche Vorgaben halten, der anderes
vorhat. Und der Staat wäre gar nicht mehr in der Lage, Ausgangssperren
flächendeckend durchzusetzen, so wie es 2020 noch fast problemlos möglich ist –
u.a.
durch höfliche Politessen, die mit erhobenem Zeigefinger Knöllchen verteilen und
versuchen, dabei einen ernsthaften Eindruck zu machen. Der Staat hätte in einer
gefährlichen Virus-Pandemie mit den verbliebenen Kräften wichtigeres zu tun.
x
Auch von der Arbeit müsste man niemanden abhalten, es würde keiner mehr
hingehen, wenn dort möglicherweise der sichere Tod auf ihn wartete. Wer gebraucht
wird, etwa weil er für den Betrieb einer Kritischen Infrastruktur benötigt wird, müsste
von der Polizei abgeholt werden, weil er sich von seinen Lieben nicht entfernen will.
x
Die Polizei und Militär wären ebenso ausgedünnt, die Sicherheit und Ordnung könnte
nicht mehr gewährleistet werden, Kriminalität würde überhandnehmen und, und, und.
Eine Pandemie mit 7,5 Mio. Toten würde unsere Gesellschaftsformation und staatliche
Ordnung kaum überstehen und unsere Zivilisation möglicherweise auch nicht, wenn
die Kritischen Infrastrukturen zusammenbrächen.
x
In dem 2012er Szenario wurde zur Vereinfachung eine gleichmäßige Betroffenheit
aller Altersgruppen konstruiert, obwohl die Altersgruppe über 65 Jahren bei bisherigen
Coronaviren deutlich überproportional erkranken und sterben. („Für das Modellieren
der Zahlen an Erkrankten und Betroffenen im Szenario gehen wir davon aus, dass alle
Altersgruppen gleich
betroffen sind.“) –
Die wahrscheinlichere Variante ist auch bei der
sars-Variante Covid-19 zum Zuge gekommen. Mit der wesentlichen Konsequenz, dass
2020 die berufstätige Bevölkerung, die für die gesamte gesellschaftliche Arbeit und alle
Wertschöpfungsprozesse benötigt wird, so gut wie nicht betroffen ist –
jedenfalls nicht
vordergründig gesundheitlich. In dem Szenario der Risikoanalyse hätte die breitere
Altersverteilung von Todesopfern zu noch schwereren Auswirkungen auf alle
gesellschaftlichen Bereiche führen müssen, mit dem Zusammenbrechen zumindest
von Teilen der Kritischen Infrastrukturen und der Unmöglichkeit, nach überstandener
Pandemie eine schnelle Regenerationsphase realisieren zu können. Für letzteres ist
unübersehbar das reaktionsschnelle Fallenlassen aller Restriktionen und
Schutzmaßnahmen der kritische Erfolgsfaktor.
x
In einer echten Krise käme wohl auch niemand auf die Idee, beim
Bundesverfassungsgericht einklagen zu wollen, dass er in dieser Lage eine politische
Demonstration durchführen darf. Eine Meldung in der Zeitung wäre das jedenfalls nicht
wert.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 16 von 83
Eine wichtige Erkenntnis aus der Risikoanalyse 2012, dürfte sein, dass bei jeglichen
Maßnahmen stets mitgedacht werden muss, dass sich die ersten Warnmeldungen als
Fehlalarm herausstellen könnten. Denn wirksamen und umfassenden Schutzmaßnahmen
wohnt ein gewaltiges eigenes Schadpotential inne (als Kollateralschaden). Dieses
Schadpotential entfaltet vor allem bei einem Fehlalarm und Überschätzung der
gesundheitlichen Gefahren seine fatale ironische Wirkung.
Rolle der Politik
Die Rolle der Politik kommt nur am Rande vor, nicht als impulsgebende Steuereinheit, wie es
sich heute darstellt.
Auf Seite 68 der 2012er Risikoanalyse heißt es im Szenario:
„2.6 Behördliche Maßnahmen
Neben der Information der Bevölkerung treffen die Behörden, aufbauend auf
bestehenden Plänen und den Erfahrungen aus der Vergangenheit, Maßnahmen
zur Eindämmung und Bewältigung des Ereignisses. Krisenstäbe werden zeitnah
einberufen und übernehmen die Leitung und Koordination der Maßnahmen. Die
vorausschauende Beurteilung der Lage und die entsprechende Planung der
Abwehrmaßnahmen werden
unter allen beteiligten
Ebenen abgestimmt.“
Die Risikoanalyse thematisiert mögliche Protest aus der Bevölkerung.
„Die Suche nach „Schuldigen“ und die Frage, ob
die Vorbereitungen auf das Ereignis
ausreichend waren, dürften noch während der ersten Infektionswelle aufkommen. Ob
es zu Rücktrittsforderungen oder sonstigen schweren politischen Auswirkungenkommt, hängt auch vom Krisenmanagement und der Krisenkommunikation der
Verantwortlichen
ab.“
(Seite 80)
Auch in der Coronakrise wird es vermutlich zu Schuldzuweisungen kommen. Die werden sich
selbst mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit der Regierungen kaum verhindern lassen, selbst
wenn versucht wird, die Massenmedien einzubinden. Bisher ist es nicht Ziel staatlicher
Öffentlichkeitsarbeit, generell Kritik zu unterdrücken.
Weitere Hinweise auf Gefahren durch Kollateralschäden
Kollateralschäden sind regelmäßig zu erwarten, das muss im Ergebnis der Risikoanalyse das
Krisenmanagement von vorne herein beachten. Die Kollateralschäden dieses Szenarios (7,5
Mio. Tote) würden sehr wahrscheinlich zu einem Zusammenbruch im Bereich der Kritischen
Infrastrukturen führen.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 17 von 83
„Die volkswirtschaftlichen
Auswirkungen sind hier nicht konkret abschätzbar, könnten
allerdings immens sein. Da im gesamten Ereignisverlauf mindestens 7,5 MillionenMenschen sterben, ist trotz der Altersverteilung der Letalitätsrate mit dem Tod einer
Vielzahl von Erwerbstätigen zu rechnen. Sollten z.B. vier Millionen Erwerbstätige
versterben, wären dies ca. zehn Prozent aller Erwerbstätigen, dieser Verlust wäre
volkswirtschaftlich deutlich spürbar und mit einem hohen Einbruch des
Bruttoinlandprodukts verbunden.“
(Seite 78)
Die Kostenbelastungen einer solchen Krise haben Auswirkungen auf die Sozialen
Sicherungsysteme. Je länger die Aufhebung von Schutzmaßnahmen verschleppt wird, desto
größer wird der Nachteil für den Sozialstaat und den sozialen Frieden ausfallen. Das gilt
natürlich für die Coronakrise.
„Mit
massiven Kosten für die öffentliche Hand ist zu rechnen, u.a. durch den Verbrauch
von medizinischem Material und Arzneimitteln sowie durch die Entwicklung undBeschaffung eines Impfstoffes. Durch den Ausfall von Wirtschaftsleistung sindgeringere Steuereinnahmen zu erwarten. Dies führt in Verbindung mit dem Anstieg der
Gesundheitskosten voraussichtlich zu einer erheblichen Belastung der
Sozialversicherungssysteme, vor allem der gesetzlichen Krankenversicherung.“
(Seite
78)
Die Probleme durch Unterbrechungen von Lieferketten wurden in der Risikoanalyse
beschrieben. Und auch, dass die Unterbrechung von Lieferketten zu Kaskadeneffekten
führen kann.
„Generell ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen die Auswirkungen der Pandemie
selbst bei guter Planung und Vorbereitung ggf. nicht mehr kompensieren können(generelle Rationalisierungstendenzen: dünne Personaldecke, Abhängigkeit vonZulieferern, Just-in-Time-Produktionusw.). Dies kann sogar dazu führen, dass weltweit
Produktionsketten zum Erliegen kommen.
Mit Blick auf vielfältige internationale Verflechtungen sind auch Versorgungsleistungenaus anderen Ländern für Deutschland von großer Bedeutung. Zahlreiche Güter und
Dienste werden weltweit von nur wenigen Schlüsselproduzenten bereitgestellt. Somit
könnten Ausfälle im Bereich importierter Güter und Rohstoffe auch in Deutschland zuspürbaren Engpässen und Kaskadeneffekten führen.“
(Seite 79)
Die aufgezeigten Auswirkungen beobachten wir in der Coronakrise schon jetzt, obwohl die
Fallzahlen bei weitem niedriger sind. Der Effekt wurde also unterschätzt. Gäbe es zusätzlich
Tote in Millionenhöhe, wäre der gesellschaftliche Zusammenbruch kaum mehr abzuwenden.
Davon sind Kritische Infrastrukturen betroffen, wie aktuell die Entwicklung in der
Trinkwasserversorgung zeigt (s.u.).
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 18 von 83
Die Reaktionen der Bevölkerung sind schwer vorauszusehen. Sie können sehr
unterschiedlich sein, und können sich bei zeitlicher Dehnung der Auswirkungen auch
verändern. Diese Risiken sind umso größer, je länger in der Coronakrise die
Schutzmaßnahmen von der Politik erzwungen werden.
„Im vorliegenden
Szenario wird
davon ausgegangen, dass die Mehrheit der
Bevölkerung sich solidarisch verhält und versucht, die Auswirkungen des Ereignisses
durch gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme zu verringern. Ähnlichsolidarische Verhaltensweisen wurden vielfach bei anderen Extremsituationen
beobachtet. Gleichwohl ist es nicht auszuschließen, dass eine zunehmende
Verunsicherung und das Gefühl, durch die Behörden und das Gesundheitswesen im
Stich gelassen
zu werden, aggressives und
antisoziales Verhalten
fördert.“
(Seite 79)
4. Hat der Staat bisher genug für den Schutz Kritischer
Infrastrukturen getan? Und wenn nein, was hindert ihn daran?
Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil mit Maßnahmen zum Schutz Kritischer
Infrastrukturen die Resilienz der KRITIS-Systeme und der Gesellschaft erhöht werden
können. Je schlechter die Widerstandskraft ist, desto störungsanfälliger sind kritische
Infrastrukturen, und desto eher kann es schon bei graduellen Limitierungen zu Ausfällen
kommen. Erste Hinweise enthielt bereits das zweite Kapitel (s.o.).
Zweifellos wurde in den letzten Jahren einen Menge an Aktivitäten entfaltet. Der Entwurf einer
Bilanzierung aller Aktivitäten seit Beschluss über die nationale KRITIS-Strategie zeigt das
(BBK im Auftrag v. KM4). Da es nicht alleine auf die Qualität der Einzelmaßnahmen
ankommt, und die Vergrößerung von Gefahren in der gleichen Zeit gegengerechnet werden
müsste, um den Nettoschutzeffekt (Resilienz-Saldo) zu erhalten, befasse ich mich hier vor
allem mit der strategischen Perspektive.
Der Schutz Kritischer Infrastrukturen wird auch von den Ländern als vordringliches Ziel
anerkannt. Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus, auch wenn sinnvolle Schritte
gemacht wurden.
„Fragen der Versorgung spielen in
unserem alltäglichen
Leben kaum eine Rolle. In
welchem Maße wir auf Strom, Wasser oder etwa Internet angewiesen sind, merken wirerst, wenn die einzelne Versorgungsleistung gestört ist. Die zunehmendeDigitalisierung bietet viele Chancen, birgt aber auch Risiken und Gefahren. Deshalb
müssen wir die Resistenz unserer kritischen Infrastrukturen erhöhen und auf alle
denkbaren ‚Worst-Case-Szenarien‘ vorbereitet sein. Um das hohe
Niveau der
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 19 von 83
Daseinsvorsorge in Hessen zu sichern, haben wir in den vergangenen Jahren sowohl
den Brand-und Katastrophenschutz als auch den Bereich Cyber-und IT-Sicherheit
deutlich gestärkt.“
(Peter Beuth, Hessischer Innenminister, auf einer vom Hessischen
Innenministerium organisierten Fachkonferenz im Biebricher Schloss zum Thema
Kritische Infrastrukturen am 25. November 2019)
Der frühere Bundesinnenminister Friedrich brachte 2011 das IT-Sicherheitsgesetz auf den
Weg und begründete das mit der notwendigen Verbesserung des Schutzes Kritischer
Infrastrukturen.
„Neue Technologien bedeuten neue Chancen, Kollege
Bockhahn. Durch das Internet
entstehen Produktivitätsfortschritte, aber auch neue Risiken. Das alles baut auf einer
unglaublich aufwendigen Technologie auf. Wenn wir diese Technologie und alles, wasuns in unserem täglichen Leben Lebensqualität, aber auch Wohlstand bringt –
die
kritische Infrastruktur, unsere Stromversorgung, die Kommunikation, die
Wasserversorgung, die Logistik und das Finanzwesen –, schützen wollen, dann
müssen wir die Sicherheitsbehörden, insbesondere das BSI, in die Lage versetzen, alldie Möglichkeiten der Abwehr vorzuhalten und mit den technologischen
Herausforderungen Schritt zu halten. Das ist teuer, aber es gibt keine Alternative dazu.
Wir müssen in der Lage sein, unsere Bevölkerung, unsere Systeme und unsere
Daseinsvorsorge
zu schützen. Deswegen ist es richtig, das BSI zu stärken.“
(aus:
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, zum Haushaltsgesetz
2012 vor dem Deutschen Bundestag am 22. November 2011 in Berlin)
Die Umsetzung zog sich über einige Jahre hin, Minister Friedrich vertrat dies bei jeder
Gelegenheit. Mit Bezug zur IT-Sicherheit als Kritische Infrastruktur sagte er 2013: „(…)
Das
zeigt, wie wichtig es ist, dass wir unsere Daten, unsere Leitungen, unsere Netze, unsere
Infrastruktur widerstandsfähig machen. Darüber rede ich hier seit Monaten.“
(aus: Rede des
Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in der Debatte zu den Konsequenzen
für Deutschland aus der internationalen Internetüberwachung vor dem Deutschen Bundestag
am 26. Juni 2013 in Berlin)
Inzwischen gilt das IT-Sicherheitsgesetz als deutsches Vorzeigeobjekt, obwohl es nur
begrenzte Verbindlichkeit entfaltet und die Einhaltung von Gesetz und Verordnung schlecht
verifiziert werden kann. Als Einstieg war das unverzichtbar und bietet ein guten Fundament.
Derzeit wird die zweite, deutlich ambitioniertere Stufe des IT-Sicherheitsgesetzes im BMI
vorbereitet.
Im August 2016 wurde das neue Zivilschutzkonzept durch Bundesinnenminister de Maiziere
in einem Berliner Wasserwerk der Öffentlichkeit vorgestellt, ein Baustein dieses Konzeptes ist
die Verbesserung des KRITIS-Schutzes. Dieses event war ursprünglich als rein
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 20 von 83
fachspezifisches Ereignis geplant gewesen, vehement reagiert hat dann schließlich die
allgemeine Presse (insbesondere die Breiten-Publikationen).
„Die Bevölkerung
wurde aufgefordert, zur Erstversorgung im Krisenfall für fünf Tagezehn Liter Wasser pro Person vorzuhalten sowie einen Vorrat an Lebensmitteln für
zehn Tage. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat Kritik am neuen
Konzept zur Zivilverteidigung
zurückgewiesen. (…) Es sei ein umfassendes, langeerarbeitetes Konzept jenseits jeder Panikmache, sagte de Maizière am Mittwoch in
Berlin. „Wir alle
wünschen
uns, dass uns größere Krisen
erspart blieben”, sagte
de
Maizière. Doch es sei vernünftig, sich „angemessen und mit kühlem Kopf” auf
Krisenszenarien vorzubereiten. (…)
Das Konzept ist in den vergangenen Tagen schon heftig diskutiert worden. Unter
anderem wird die Bevölkerung aufgefordert, zur Erstversorgung im Krisenfall für fünfTage zehn Liter Wasser pro Person vorzuhalten sowie einen Vorrat an Lebensmitteln
für zehn Tage. Auch Überlegungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht im Krisenfallund Szenarien für Einsätze des Technischen Hilfswerks (THW) sind in dem Papier
enthalten. So heißt es etwa: „Im Falle einer Beendigung der Aussetzung
des Vollzugs
der Wehrpflicht entsteht Unterstützungsbedarf der Bundeswehr bei
Heranziehungsorganisation
und Unterbringungsinfrastruktur.”
(aus: BZ Berlin vom
24.8.2016, De Maizière weist Kritik an umstrittenem Konzept zum Zivilschutz zurück,
https://www.bz-berlin.de/berlin/reinickendorf/de-maiziere-stellt-umstrittenes-konzeptzum-zivilschutz-in-berlin-vor)
Selbst die örtlichen Anzeigenblätter interpretierten und skandalisierten die Aussagen des
Ministers als indirekten Aufruf zu Hamsterkäufen.
„Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am 24. August im Wasserwerk
Tegel das zuvor im Bundeskabinett beschlossene Konzept Zivile Verteidigungvorgestellt. Der Presseauflauf ist enorm. Dreizehn Kameras sind auf das Podium
gerichtet, noch mehr schreibende Journalisten verteilen sich auf die Sitzreihen, drumherum tummeln sich die Fotografen. Die meisten sind gern in der Sommerpause aus
dem Regierungsviertel an den Tegeler See gekommen, doch das Wasserwerk
interessiert die meisten dann nur am Rande.
Wie könne es sein, dass kurz nach Terroranschlägen und Münchner Amoklauf die
Bundesregierung die Bevölkerung indirekt zu Hamsterkäufen aufrufe? Diesen Tenor
hat so manche Frage, und ähnlich gleich bleiben die Antworten des Ministers. Manmüsse Pläne für den Katastrophenschutz ab und zu anpassen, und genau dies hättendie Bundesministerien getan, unabhängig von aktuellen Ereignissen.
Dass jeder Haushalt in der Lage sein sollte, sich ein paar Tage selbst zu versorgen, sei
doch selbstverständlich, sagt der Minister unter Verweis auf seinen eigenen
„vollgestellten Keller“, in den er aber keinen Journalisten hineinlassen möchte.“
(aus:
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 21 von 83
Besuch im
Wasserwerk: Thomas de Maizière bei „kritischer Infrastruktur“ Christian
Schindler, aus Reinickendorf, 26. August 2016, 00:00 Uhr,
https://www.berlinerwoche.de/tegel/c-politik/besuch-im-wasserwerk-thomas-de-maizire-bei-kritischer
infrastruktur_a107515)
In Fachkreisen gilt der Begriff „Hamsterkäufe“ inzwischen als geflügeltes Wort. Wer sich
dieses Vorwurfs bedient, kann jedes vernünftige Projekt zum Scheitern bringen. Aus Sicht der
Experten in den Ministerialapparaten von Bund und Ländern war die Politik (politische Leitung
der Ministerien und Regierungszentralen) aufgrund des „Hamsterkäufe-Effekts“
bisher nicht
stark genug, überfällige Aktivitäten und substanzielle Verbesserungen beim Schutz Kritischer
Infrastrukturen in Deutschland wirksam voran zu treiben.
Der Bundesinnenminister verteidigte sein Anliegen zwar, war aber politisch in Bedrängnis
geraten. Aus dem politischen Feld heraus wurde dieser Effekt noch gezielt verstärkt.
„Kritik wie jene der SPD, der Zeitpunkt hierfür nach den jüngsten Anschlägen schüre
Verunsicherung, ließ der Minister nicht
gelten. „Es ist üblich, wenn eine
Ressortabstimmung abgeschlossen ist, dass es dann ins Kabinett kommt.”“
(aus: BZ
Berlin vom 24.8.2016, ebd.)
Erst dieser verstärkte Effekt führte dazu, dass die Abteilungsleitung KM nach Erörterung der
Angelegenheit beim Minister, das Vorhaben mit Samthandschuhen anfasste und die interne
Aufforderung erging, möglichst unauffällig unter dem Öffentlichkeitsradar weiter zu arbeiten.
Das Vorhaben der Erneuerung der allgemeinen KRITIS-Strategie wurde, im Gegensatz zur
IT-Sicherheitsstrategie, vom Ministerial-Apparat in der Priorität drastisch herabgestuft. Das
wäre (mit Blick auf den IT-Bereich), nicht zwingend gewesen. Auf die eigentliche Projektarbeit
der Erneuerung der KRITIS Strategie hatte die hauspolitische Vorgabe nur begrenzte
Auswirkungen. Die durfte und sollte unverändert, aber von der Abteilungsleitung nicht gerade
besonders interessiert oder engagiert begleitet, im Fachreferat weiter geführt werden.
Eckpunkte und Entwürfe wurden mehrfach im Hause, im Ressortkreis auf Bundesebene und
in Facharbeitsgruppen mit den Ländern abgestimmt. Solche technisch zustande
gekommenen Produkte, die nicht von der Abteilungsleitung eng begleitet und mit
Zielvorgaben gesteuert werden, haben oftmals geringe Wirksamkeit und Akzeptanz, wenn sie
der gleichen Abteilungsleitung schließlich und unvermittelt in der finalen Endfassung
vorgelegt werden. In diesem Fall, war das von Vorteil, denn das finale Papier war (aus meiner
persönlichen fachlichen Sicht) denkbar ungeeignet. Aufgrund verschiedener Widrigkeiten
erfolgte die referatsinterne Projektsteuerung suboptimal und war am Ende auch
unwirtschaftlich war.
Die Abteilungsleitung stoppte das mit den Ländern auf Arbeitsebene (AG KOST KRITIS)
abgestimmte Papier glücklicherweise aufgrund nachgewiesener schwerwiegender
systematischer inhaltlicher Mängel aus eigener Kraft. Allerdings wurden die Länder und das
am Projekt prominent beteiligte BBK über die genauen Ablehnungsgründe, die in umfassend
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 22 von 83
aufbereiteter Schriftform vorliegen (seit 2.3.20 auch SV AL KM), bis heute im Unklaren
gelassen. Dieser Umstand wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass die inzwischen unter
Federführung der Länder fortgesetzte Arbeit an einem Neuentwurf der KRITIS-Strategie
erneut scheitern wird.
Selbstverständlich ist auch die Entscheidung, die Federführung einer erneuerten Strategie,
die ihrem Rang nach (wie bei der noch geltenden Strategie) im Bundeskabinett verabschiedet
werden soll, in die Hände der Länder zu legen, nicht unbedingt konstruktiv. Wenn diese
Gemengelage nicht grundlegend aufgearbeitet und neu geordnet wird, ist selbst mit einem
Neuaufbruch unter dem Eindruck der Coronakrise das Vorhaben einer erneuerten nationalen
KRITIS-Strategie –
auch mit Perspektive auf das von der Strategie abzuleitende nationale
Regierungsprogramm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen –
bis auf weiteres nicht viel zu
erwarten.
5. Was hätte bei der Gefahrenbewertung beachtet werden
müssen?
Auf der Basis der vorhergehenden Erkenntnisse wird deutlich, was eine Gefahrenbewertung
ausmacht und wofür sie gebraucht wird. In 5.1 wird eine Methode zur Überprüfung der
Qualität einer Gefahrenbewertung vorgestellt. Anschließend werden verschiedenen Ansätze
von Plausibilitätsprüfungen skizziert.
5.1 Anleitung zur Gefahrenbewertung mit Checkliste
Grundlage jeder Krisenintervention zur Abwehr einer außergewöhnlichen Gefahr ist eine
umfassende Erhebung von entscheidungsrelevanten Sachverhalten und eine Bewertung der
drohenden Gefahren, die alle für die Ermittlung der Gefahren relevanten Aspekte einbeziehen
und den Handlungsbedarf begründen. Prognosen, Szenarien (alternative Projektionen) und
Maßnahmen müssen einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden, bevor sie zum Maßstab
und Gegenstand von Entscheidungen gemacht werden können.
Um die Einhaltung diese Anforderungen in einer konkreten Lage zu verifizieren, braucht man
eine daraus abgeleitete und ergänzte Checkliste.
Falls Maßnahmen der Krisenintervention mehr als nur schwache negative Nebenwirkungen
haben, müssen die ursprünglichen Gefahren und die hinzutretenden Gefahren in einer
Multigefahren-Bewertung erfasst werden um zu vermeiden, dass die Kollateralschäden
größer werden, als der abzuwehrende Schaden durch die erste Gefahr.
Eine solche Checkliste gibt es bisher nicht. Sie wurde weder vor, noch nach der Lükex 07
oder der Risikoanalyse von 2012 entwickelt –
was ich hiermit nachhole:
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 23 von 83
Krisenmanagement-Checkliste für die nmanagement-Checkliste für die Teil 1: Einzel-Gefahrenlagen
Qualitätskontrolle einer Gefahrenbewertung
und der dafür erforderlichen Prozesse
Nr. Anforderungen / Qualitätskriterien 1. Beurteiler 2. Beurteiler
1 Gegenstand einer Krisenintervention ist die Abwehr von
Gefahren, die außerhalb der Krise nicht bestehen.
2 Um eine Gefahr korrekt einschätzen zu können, sind alle
entscheidungsrelevanten Sachverhalte (Daten und
Rahmenbedingungen) zu erheben.
3 Daten und Rahmenbedingungen, die für die Beurteilung einer
Gefahr irrelevant sind, dürfen in eine Gefahrenbewertung nicht
einfließen –
sie können das Ergebnis der Beurteilung verfälschen
und zu falschen Maßnahmen führen.
4 Erhobene Daten und einbezogenen Rahmenbedingungen müssen
gegengescheckt, interpretiert und bewertet werden, um aus
ihnen eine Gefahreneinschätzung ableiten zu können.
5 Nur mit einer korrekten Bewertung (Einschätzung) der Gefahr
kann der richtige Handlungsbedarf ermittelt werden
(Wirksamkeit der Gefahrenabwehr)
6 Mindestanforderung für Prognosen und Szenarien, die in die
Entscheidungsfindung einfließen sollen, sowie für Maßnahmen
die zur Gefahrenabwehr erwogen werden, ist das Bestehen einer
Plausibilitätsprüfung.
7 Belastende Schutzmaßnahmen sind nur vertretbar, solange ihre
positive Wirkung eindeutig größer ist, als ihre negativen
Nebenwirkungen (Kollateralschäden).
8 Jede Bewertung kann nur so gut sein, wie Umfang und Qualität
der verfügbaren Daten und einbezogenen Aspekte es hergeben.
Kriterium erfüllt: •
Kriterium nicht oder unvollständig erfüllt: •
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 24 von 83
Krisenmanagement-Checkliste für die Teil 2: Ergänzungen für Multi-Gefahrenlagen -Checkliste für die Teil 2: Ergänzungen für Multi-Gefahrenlagen
Qualitätskontrolle einer Gefahrenbewertung
und der dafür erforderlichen Prozesse
Nr. Anforderungen / Qualitätskriterien 1. Beurteiler 2. Beurteiler
9 Für während einer Gefährdungslage hinzutretende weitere
Gefahren und für Gefahren durch (mehr als leichte)
Kollateralschäden werden nach den gleichen Vorgaben (siehe Teil
1) eigene Gefahrenanalysen durchgeführt.
10 Nur mit einer vollständigen Multi-Gefahrenbewertung kann das
Gesamt-Gefahrenpotential einer Lage erkannt werden.
11 Wirkungen jeglicher Krisenintervention und durch sie zu
erwartende Kollateralschäden sind regelmäßig miteinander
abzugleichen, um in die Lage zu kommen, den potentiellen
Gesamtschaden zu erfassen und die Maßnahmen so auszurichten,
dass der gesellschaftliche Gesamtschaden so gering wie möglich
gehalten wird.
Kriterium erfüllt: •
Kriterium nicht oder unvollständig erfüllt: •
5.2 Wie hätte eine Gefahreneinschätzung (gesundheitliche Gefahren) nachPlausibilität ausgesehen?
Wir gehen von der ersten Gefährdungslage, den gesundheitlichen Gefährdungen unserer
Gesellschaft durch den neuen Virus, aus. Wir nähern uns dem Problem über eine funktionale
Analyse und gleichen diese später mit den bestehenden oder kurzfristig geschaffenen
rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Der Grund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand:
Hauptgegenstand dieses Berichts sind die Auswirkungen auf die Kritischen Infrastrukturen in
Deutschland, die dem Krisenmanagement zugearbeitet werden sollen, nicht die
Rechtskonformität des Krisenmanagements. Das wäre jedoch ein Nebennutzen des zweiten
Schwerpunktes, der darin besteht, den Rechtsrahmen auf Plausibilität und Geeignetheit zu
überprüfen. Denn was nützen die schönsten Gesetze, wenn sie in der Praxis nicht optimal
dazu beitragen können, eine Krise zu bewältigen oder wenn sie sogar kontraproduktiv auf die
Krisenbewältigung wirken.
Grundlage jedes Krisenmanagements ist die Bewertung der Gefahr (s.o.), das Einschätzen
möglicher Schäden.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 25 von 83
Im Falle einer Pandemie geht es darum, die möglichen Schäden für unsere Gesellschaft
durch eine lebensgefährliche Erkrankung bis hin zum Versterben der Infizierten / Erkrankten
abzuschätzen. Da weltweit keine ausreichenden Vorerfahrungen bestanden und diese
aufgrund unterschiedliche Rahmenbedingungen in den verschiedenen Staaten auch nur
eingeschränkt verwertbar sind, musste diese Einschätzung auf der Basis des Infektions-,
Erkrankungs-und Sterbegeschehens in Deutschland selbst vorgenommen werden. Zur
quantitativen Beurteilung mussten Daten erhoben, bzw. aus bestehende Datenpools
abgerufen werden. Wichtigste Orientierungsgröße ist dabei das Ausmaß, des bisher
eingetretenen Schadens und seine Dynamik.
Der Schaden, den eine Erkrankung auslösen kann, besteht üblicherweise in
lebensqualitätssenkenden Folgeschäden und dem Tod. Diese beiden Größen mussten also
erhoben und im Kontext bewertet werden. Der Kontext besteht im Wesentlichen aus:
a) Auch ohne Pandemie bestehen erhebliche Risiken, zu Tode zu kommen. Die
Wahrscheinlichkeit zu sterben liegt für jeden Menschen gleichermaßen bei exakt 100
Prozent.
b) In einer Pandemie will sich eine Gesellschaft mit gesonderten Schutzmaßnahmen vor
zusätzlichen Risiken absichern, insbesondere vor einem vorzeitigen Tod, der durch
das pandemische Virus ausgelöst werden könnte.
Der sicherste Indikator für die Gefährlichkeit eines neuen Virus bietet die rückblickende
Sterbestatistik für das Pandemiejahr (und ggf. die Folgejahre). Die Gefährlichkeit des Virus
war für die Gesellschaft umso stärker, je mehr die Zahl von Sterbefällen während der
Pandemie von den durchschnittlichen Werten der Vorjahre nach oben abweicht. –
Wenn es
rückblickend sehr viel mehr Sterbefälle in dem betrachteten Zeitintervall gab, war das Virus
sehr gefährlich. Wenn hingegen die Sterbezahlen im Bereich der durchschnittlichen
Schwankungsbreite lagen, hat real für die Gesellschaft keine Gefahr bestanden.
Die Sterbestatistik, aus der wir die Gefährlichkeit ablesen könnten, steht uns erst in einigen
Jahren zur Verfügung. Das hat zwei Konsequenzen:
1. Selbst die alten Statistiken der vergangenen Jahre sind eine wichtige Ressource, die
für eine Gefahrenabschätzung unersetzlich sind. Da wir die Sterbestatistik für 2020
heute noch nicht haben, müssen wir uns praktikabler Hilfsindikatoren bedienen. Um
die voraussichtlichen Auswirkungen auf die detailliert differenzierte Sterbestatistik
wenigstens für die kurz zurückliegende Zeit der letzten Tage und Wochen zu ermitteln,
müssen wir die tagesaktuellen Sterbefälle, und zwar nicht nur die aus dem
unmittelbaren Corona-Kontext, von den Vergleichszahlen für das normale
(durchschnittliche) Sterbegeschehen in Deutschland, abziehen und mit den
Auswirkungen der allfälligen periodischen Virusinfektionen (+ ggf. anderen
Krankheitswellen) vergleichen.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 26 von 83
2. Dass die Sterbestatistik für 2020 mit zeitlichem Versatz von wenigen Jahren
jedermann verfügbar sein wird, macht Zweckmäßigkeit und Angemessenheit aller von
der Regierung ergriffenen Maßnahmen nachträglich vollständig überprüfbar und
bewertbar. Alle Nachteile, die durch falsche oder unangemessene Schutzmaßnahmen
(entweder zu viele oder zu wenige) bis dahin eingetreten sein werden, werden dann
den Stellen und Personen angelastet, die in diesen Wochen und Monaten über die
laufenden Maßnahmen entschieden haben und weiterhin entscheiden werden. Das
kann in der Konsequenz u.a. zu Schadenersatzansprüchen führen, die
glücklicherweise nur dann zum Tragen kommen können, wenn das Verhalten des
Krisenmanagements und alle Entscheidungsprozesse aus heutiger Sicht zumindest
einer einfachen Plausibilitätsprüfung standgehalten haben, bzw. wenn eine sorgfältige
Plausibilitätsprüfung überhaupt unternommen wurde.
Eine Plausibilitätsprüfung empfiehlt sich natürlich nicht nur aus haftungsrechtlichen Gründen,
sondern auch, weil alle am Krisenmanagement beteiligten sicherlich eine bestmögliche Arbeit
machen, sowie Schäden und Nachteile von unserem Land abwehren wollen.
Stark eingreifende staatliche Schutzmaßnahmen sind nur dann der Bevölkerung zumutbar
und rational geboten, wenn sie unserer Gesellschaft (nicht dem Einzelnen) einen deutlichen
Vorteil gegenüber dem Nichthandeln des Staates bieten können. Auch dies muss also vor
dem Einleiten der Maßnahmen, und auch noch laufend die Maßnahmen begleitend,
gegengeprüft werden.
Es ist aus mehreren Gründen wichtig, dass das heutige Agieren des Krisenmanagements und
der politischen Entscheider eine angemessene Plausibilität aufweist. Denn wäre schon die
Plausibilität nicht gegeben, müsste schlimmstenfalls mit folgenden Konsequenzen gerechnet
werden:
1. Das Krisenmanagement und die politischen Entscheider könnten einen gigantischen
vermeidbaren Schaden für unsere Gesellschaft anrichten, der das Potential des
Coranavirus bei weitem übertreffen und unvorstellbares Leid auslösen kann. Die
Stabilität unseres Gemeinwesens und der Bestand unserer staatlichen Ordnung
können gefährdet sein.
2. Es drohen dem Staat hohe Schadenersatzforderungen wegen offenkundiger
Fehlentscheidungen.
Das bedeutet, dass folgende Todesfälle bei der Beurteilung der Gefährlichkeit eines neuen
Virus für unsere Gesellschaft nicht mitzuzählen sind, da sie im Rahmen der normalen
Schwankungsbreite des durchschnittlichen Sterbegeschehens liegen:
x
Todesfälle, bei denen zwar eine Infektion mit dem neuartigen Virus nachgewiesen
werden kann, die Erkrankung an ihm aber nicht die Todesursache war
x
Menschen, bei denen der Tod kurz bevorstand, und die beim Hinzukommen jeglicher
alltäglicher Belastungen oder zusätzlicher Erkrankungen (z.B. grippaler Infekt,
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 27 von 83
Lungenentzündung, …) nur noch palliativ medizinisch behandelt worden wären
(Sterbebegleitung).
Erst die dann gewonnene, bereinigte Zahl an zusätzlich eingetretenen Todesfällen, ist
Grundlage für die Einschätzung der Gefährlichkeit eines Viruses und die Planung von
gesonderten Schutzmaßnahmen des Staates.
Zur Gefährdungsanalyse und zur Planung von Schutzmaßnahmen gehören weiterhin, dass
die negativen Auswirkungen der Maßnahmen stets systematisch mit erfasst werden und die
Effekt laufend miteinander abgeglichen und saldiert werden müssen, um jederzeit gegen die
größte Gefahr kämpfen zu können.
Maßnahmen müssen konsistent sein, sie dürfen sich in ihrer Wirkung nicht gegenseitig
nivellieren oder überkompensieren.
5.3 Plausibilitätsprüfung für die Gefährdung durch den Corona-Virusmittels Gegenüberstellung von Todesursachen
Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, gemeinsam getragen von RKI und DESTATIS
ermöglicht es für jedermann, Statistiken über das Sterbegeschehen zusammen zu stellen
(
http://www.gbe-bund.de/glossar/Todesursachenstatistik.html).
Hier habe ich eine Tabelle der 20 häufigsten Todesursachen modifiziert, um auf
wöchentlicher Basis für ganz Deutschland einen Vergleich zwischen dem durchschnittlichen
und dem aktuellen Sterbegeschehen vornehmen zu können. Dies habe ich für die erste
Woche des Lockouts (23.-29.3.) und die letzte vollständige Woche (13.-19.4.), in der die
Entscheidungen getroffen wurden, die Maßnahmen nur partiell zurück zu nehmen. Die Zahlen
für Todesfälle stammen aus Wikipedia (
https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19Pandemie_in_Deutschland, abgerufen am 23.4.20). Die vier Krankheiten, die ein vergleichbares
Symptomspektrum aufweisen wie Covid-19, habe ich zusätzlich zusammen gerechnet (blau).
Was noch fehlt, um eine sinnvolle Aussage machen zu können, sind die aktuellen
Sterbezahlen für die anderen 20 Krankheiten. Selbstverständlich zählt immer die originäre
Todesursache. Diese grobe Übersicht müsste nach Altersgruppen verfeinert werden.
Die Gefährlichkeit steigt, je mehr die durchschnittlichen Sterbezahlen übertroffen wird. Es
muss also zusätzlich die Dynamik der Ausbreitung berücksichtigt werden. Wird sie gar nicht
übertroffen, besteht überhaupt keine besondere Gefahr für unsere Gesellschaft.
Es gibt weitere Todesursachen, die über die individuelle Bedeutung hinaus auch eine
gesellschaftliche haben, was sich auch im Sterbegeschehen manifestiert. Die Zahl der
Suizide liegt bei ca. 9.000 jährlich in DEU. Um wie viel steigt diese Rate durch die Krise?
Steigt sie durch die medizinische Bedrohung (den Virus), oder steigt sie wegen der negativen
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 28 von 83
Auswirkungen der Schutzmaßnahmen (Depressionen, Psychosen, …)? Noch größere
Dimensionen nehmen Todesfälle durch Alkohol (77.000 Tote jährlich) und Tabak (110.000
Tote) an. Interessant sind diese beiden Beispiele, weil sie durchkommerzialisiert sind und
gewichtige ökonomische, individuelle und gesellschaftliche Interessen miteinander
konkurrieren. Im Mittelpunkt steht der freiwilligen „Genuss“ (daher auch nur bedingt
vergleichbar mit den Risiken einer Virusinfektion. Aber in der Konsequenz geht es auch dabei
um Leben und Tod und wie sich eine Gesellschaft in Form von rechtlichen Vorgaben oder
ethischen Orientierungen zu dem Phänomen stellt, oder ob sie indifferent bleiben könnte. In
Anlage 3 werden nur beispielhaft einige gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Alkohol
und Tabak zusammengefasst (Marktvolumen, Gesundheitskosten, Steuereinnahmen). Die
Sterbestatistik wird Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich die Coronakrise auf das
Sterbegeschehen durch Drogen und anderen Substanzen ausgewirkt haben wird.
Sterbefälle für die 20 häufigsten Todesursachen absolut.
Diese Tabelle bezieht sich auf:
Jahr: 2017, Region: Deutschland, Alter: alle Altersgruppen, Geschlecht: Insgesamt, TOP: 20, Art
der Standardisierung: Standardbevölkerung "Deutschland 2011" Info
ICD10
Jahresdurchschnitt
(2017)
Wochen-
durchschnitt
(2017)
Woche vom
23.-29. März
2020
Woche vom
13.-19. April2020
Altersstan-
dardisierte
Sterbeziffer
Sterbefälle Sterbefälle Sterbefälle Sterbefälle
Covid-19
(Coronavirus SARS-
CoV-2)
0 0 0 334 1.621
Alle angezeigten ICD-
Positionen
545,9 504.223 9.697 ? ?
Alle ICD-Positionen 1.017,3 932.272 17.928 ? ?
Summe ähnlicher
Vergleichsdiagnosen
114.310 2.198 ? ?
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 29 von 83
und unbekannte
Diagnose
I25 Chronische
81,6 76.929
1.479
? ?ischämische
Herzkrankheit
C34 Bösartige52,2 45.031
866
? ?Neubildung der
Bronchien und der
Lunge
I21 Akuter 51,6 46.966 903 ? ?
Myokardinfarkt
F03 Nicht näher 40,4 39.459 759 ? ?
bezeichnete Demenz
I50 39,5 38.187 734 ? ?
Herzinsuffizienz
J44 Sonstige
35,9 32.104
617
? ?chronische obstruktive
Lungenkrankheit
I11 Hypertensive25,1 24.552 472 ? ?
Herzkrankheit
I48 Vorhofflattern 21,8 20.982 404 ? ?
und Vorhofflimmern
C50 Bösartige21,0 18.588
357
? ?Neubildung der
Brustdrüse [Mamma]
R99 Sonstige20,7 18.062
347
? ?ungenau oder nichtnäher bezeichnete
Todesursachen
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 30 von 83
C25 Bösartige20,5 18.005
346
? ?Neubildung desPankreas
J18 Pneumonie,
20,2 19.113
368
? ?Erreger nicht näherbezeichnet
C18 Bösartige17,5 15.715
302
? ?
Neubildung des Kolons
E14 Nicht näher
16,1 14.925
287
? ?bezeichneter Diabetes
mellitus
I63 Hirninfarkt 16,0 14.864 286 ? ?
C61 BösartigeX X X ? ?Neubildung der
Prostata
I64 Schlaganfall,
13,2 12.587
242
? ?nicht als Blutung oderInfarkt bezeichnet
I69 Folgen einer13,1 12.271
236
? ?zerebrovaskulären
Krankheit
G20 Primäres 11,9 11.050 213 ? ?
Parkinson-Syndrom
C80 Bösartige11,8 10.515
202
? ?Neubildung ohneAngabe der
Lokalisation
(unbearbeitetes Original als Quellennachweis:
http://www.gbe-bund.de/oowa921install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=3&p_a
id=52300294&nummer=517&p_sprache=D&p_indsp=-&p_aid=43971634)
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 31 von 83
5.4 Elemente einer Plausibilitätsprüfung für die Auswirkungen einerWirtschaftskrise auf die Pflege
Die Analyse von besonders gefährdeten Menschen, offenbart ein Profil: hohes Alter,
schwere Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit, erkennbar kurz vor dem Lebensende stehend.
Um den potentiellen Schaden für diese Zielgruppe durch einen starken und länger
anhaltenden Konjunkturrückgang überschlagsweise einschätzen zu können, kann beispielhaft
die Entwicklung des Gesundheits-und Pflegesystems unserer Gesellschaft einer historischen
Betrachtung unterzogen werden.
Unsere Gesellschaft hat über die letzten Jahrzehnte einen hohen Anteil ihrer
volkswirtschaftlichen Überschüsse für die Ausweitung eines Systems investiert, mit dem das
Leben ihrer Mitglieder erheblich verlängert werden konnte. Die durchschnittliche
Lebenserwartung der Bevölkerung in DEU stieg von 1950 bis heute um 13 bis 14 Jahre. Das
ist ein Geschenk, das unsere Gesellschaft der älteren Generation gemacht hat. Es hat sich
gleichsam ein geltender Standard herausgebildet, der im Bewusstsein der Bevölkerung zu
einem Besitzstand geworden ist, hinter den niemand zurückfallen möchte.
Ein bedeutendes Element ist die Optimierung des Pflegesektors über die letzten Dekaden.
Es ist schwer einzuschätzen, wie groß der Anteil der gestiegenen Lebenserwartung ist, der
auf die aufwendigere Pflege entfällt, aber über die volkswirtschaftlichen Dimensionen des
Pflegesektors liegen gute Informationen vor.
Ich habe die Pflegebranche exemplarisch herausgegriffen und die zentrale Daten und
Rahmenbedingungen in Anlage 4 aufbereitet.
Zusammenfassende Kurz-Info zu Pflegebranche und Pflegemarkt:
Marktvolumen: heute 50 Mrd. Euro, bis 2030 sollen es 84 Mrd. Euro sein
(in einem wachstumsreduzierten Szenario nach Roland Berger: 64 Mrd.
Euro in 2030)
Beschäftigte: heute 1,2 Mio. (= 3,6 % aller sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten), bis 2030 sollen es 20 % mehr sein
Pflegebedürftige: heute 3,5 Mio. Menschen, in 2030 voraussichtlich 4,1
Mio., in 2050 voraussichtlich 5,3 Mio.
Was geschehen soll, wenn diese Überschüsse irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen
oder sogar Defizite auflaufen, wurde nie vereinbart. Aber es liegt auf der Hand: die Ausgaben
und Leistungen werden reduziert werden müssen, die Versorgung wird schlechter, die
Lebenserwartung wird sinken.
Eine große Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Coronakrise (oder: durch die Fehler im
Krisenmanagement der Coronakrise), wird diese Situation noch schneller eintreten lassen, als
ohnehin schon zu befürchten war. Die Diskussionen darüber werden in Kürze auf unsere
Gesellschaft zukommen. Der Aufwand für Pflege wird künftig viel mehr als heute in scharfe
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 32 von 83
Konkurrenz geraten zu Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, die
Förderung von wirtschaftlich verwertbaren Innovationen und die Qualifizierung des
Humankapitals, das in DEU (bezogen auf den Schüler-Nachwuchs) aufgrund begrenzter
natürlicher Qualitäten (im Vergleich zu anderen Weltregionen) ganz besonderer Hege und
Pflege bedarf.
In einer weiteren Stufe meiner Plausibilitätsprüfung gelange ich zu weiteren Widersprüchen,
die es mir stark erschweren, Prognosen in meinem Verantwortungsbereich, dem Schutz
Kritischer Infrastrukturen, anzustellen:
Es werden zwar weitreichende Einschränkungen bezüglich des Kontaktes zwischen den
Menschen und deren Freizügigkeit / Bewegungsfreiheit vorgenommen, von diesen werden
jedoch so zahlreiche Ausnahmen zugelassen, dass angesichts der offenkundig starken
Ansteckbarkeit der Krankheit die beabsichtigte Wirkung der Einschränkungen nicht erzielt
werden kann. Gleichwohl bleiben die Einschränkungen, die schwerwiegende negative
Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben, weiter in Kraft. Zwar kann ich die Gründe für
die Ausnahmeregelungen gut nachvollziehen, komme aber trotzdem nicht umhin
festzustellen, dass die eigentliche Regelung dadurch nivelliert wird.
Dem wird ein Entscheidungsprozess vorangegangen sein, bei dem mit Sicherheit auch die
grundsätzliche Gefährlichkeit der Infektion berücksichtigt wurde. Wenn die jeweiligen
Entscheider von einer hohen Gefährlichkeit und insbesondere von einer leichten
Übertragbarkeit ausgegangen wären, hätten sie umfangreiche und zudem schwer
überprüfbare Ausnahmen in diesem Umfang nicht zulassen dürfen. Wenn die Entscheider
von einer geringen Gefahr ausgegangen wären, hätten sie Einschränkungen insgesamt
aufheben müssen, um den Schaden zu begrenzen, der durch die Schutzmaßnahmen
entsteht und täglich aufwächst.
5.5 Ansätze einer Plausibilitätsprüfung aus Perspektive derBevölkerungsentwicklung
Es kann nach drei Schadensklassen und Arten von Schutzgütern zu differenziert werden:
nach materiellen Schäden, nach Schäden durch das Sterben von Menschen und Schäden
durch den Verlust von Lebens(zeit)erwartung.
Alleine aus dem BMI unmittelbar verfügbaren Ressourcen ist es möglich, Vergleichszahlen zu
überschlagen. Als Basis meiner folgenden Einschätzungen dienten die öffentlich
zugänglichen Wissensbestände des BiB (Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, dem
BMI nachgeordnete Behörde).
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 33 von 83
Das zusammenfassende Ergebnis meiner nachfolgenden Analyse: Eine starke
Wirtschafts-und Gesellschaftskrise mit eine negativen Entwicklung des BIP um 8 bis 10
Prozent im ersten Jahr, in der das Wohlstandsniveau längerfristig sinkt, wird nicht nur die
Lebensqualität senken, sondern auch die Lebenserwartung der Bevölkerung. Am 24. April
2020 warnte EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Staats-und Regierungschefs der EU
(
https://www.fondsprofessionell.de/news/zahl-tweet-des-tages/headline/zahl-des-tages-15-prozent-197155/) vor einem
Einbruch um bis zu 15 Prozent. Wie stark die Effekt sein wird, und somit die
Größe/Bedeutung der Gefahr, die von ihm für die Bevölkerung ausgeht, kann nur geschätzt
werden -wie auch bei der Erhebung der Gesundheitsgefahren durch den Coronavirus. Als
Kriterium für eine quantitative Schätzung habe ich die Steigung der Lebenserwartung in den
letzten Jahrzehnten in Korrelation mit der Wohlstandsentwicklung heran gezogen. Demnach
könnte befürchtet werden, dass durch die bereits bis heute aufgelaufenen
Regierungsmaßnahmen in der Coronakrise potentielle Lebenszeit im Umfang von biszu mehreren Millionen Lebensjahren der Bevölkerung Deutschlands vernichtet wurde.
Dieser Befund wurde von mir mit relativ einfachen Mitteln und sicherlich recht grob erhoben.
Es ist dringend erforderlich, die von mir skizzierten Wirkungszusammenhänge von Experten
z.B. des BiB kurzfristig klären und erläutern zu lassen. Das Krisenmanagement der BReg
kann nur dann einen Abgleich von Gefahren vornehmen, wenn für die beiden aktuelldrohenden Gefahren –
die Gefahr an Corona schwer zu erkranken und daran zu
sterben, sowie die nunmehr eintretende Wirtschafts-und Gesellschaftskrise mit ihren
lebensverkürzenden Effekten –
ausreichend Informationen und Daten zur Verfügung
eingeholt werden. Es gilt, ein bisheriges Versäumnis auszugleichen.
Einzelaspekte:
Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 4 aus 2010
2010 wurde vom BiB ermittelt (Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 4 aus 2010), dass
die längere Lebenserwartung positive auf die erwachsenen Kinder der Alten haben bis
diese zwischen 50 und 60 Jahren sind. Dann dreht sich der Effekt um: Die
(erwachsenen) Kinder werden stärker belastet durch die Pflege der Eltern.
Fazit: Wenn die Lebenserwartung sinkt, können jüngere Menschen, die im
Arbeitsleben einer Volkswirtschaft höchste Bedeutung haben, weil sie die
Wirtschaftsleistung (Wertschöpfung einer Gesellschaft) tragen und für die Innovationen
zuständig sind, weniger durch unterstützende und mithelfende Eltern entlastet werden,
und werden früher als heute mit den Belastungen der Pflege ihrer Eltern belastet. Sie
werden dadurch über ihre aktive Lebensarbeitsphase tendenziell weniger leisten
können als heute, also weniger zum Steueraufkommen beitragen und das
Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft schlechter absichern können.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 34 von 83
Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland 1960–2010
https://de.wikipedia.org/wiki/Lebenserwartung https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/S37-Lebenserwartung-Alter-65-Geschlecht-WestOst-ab-1958.html?nn=9992060
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 35 von 83
Wohlstand Deutschlands 1950–2008 gemessen am
BIP
pro Kopf in
€
https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstand Selbst wenn man berücksichtigt, dass Wohlstand eine schwer messbare Größe ist und
unterschiedliche Messmethoden und Interpretationen möglich sind (siehe unten, Der
Spiegel), besteht keine Zweifel daran, dass im Laufe der Zeit immer mehr Ressourcen für
Maßnahmen aufgewendet wurden, die der Verlängerung der durchschnittlichen
Lebenserwartung dienten. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte, dass nun massiv
einzubrechen droht, machte das möglich.
„Geld ist nicht alles:
Während das
Bruttonationaleinkommen der Deutschen in den
vergangenen 15 Jahren meist stieg, schwankte der Nationale Wohlfahrtsindex erheblich. In
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 36 von 83
zwei unterschiedlichen Varianten fasst dieser insgesamt 21 Indikatoren zusammen -von der
Luftverschmutzung über den Alkohol-und Drogenmissbrauch bis zum Wert der Hausarbeit.“
SPIEGEL ONLINE aus Der Spiegel, 2.4.2012
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wie-misst-man-wohlstand-kritik-ambruttoinlandsprodukt-bip-a-824877.html
Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 5 aus 2011
x
In einem Beitrag (Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 5 aus 2011) wurde dargelegt,
dass sich im Zuge der Erhöhung der Lebenserwartung auch die Phase kurz vor dem
Tod, in dem gesundheitliche Einschränkungen bestehen und die Lebensqualität
schlecht bis sehr schlecht ist, verringert. Den Menschen geht es länger gut. Eine
einzelne neuere Studie konnte diese Aussage aufgrund sehr spezieller
Datengrundlage zwar nicht bestätigen, dennoch gingen die Autoren des BiB in 2011
von der Wirksamkeit der sogenannten „Kompression der Morbidität“ aus.
Fazit: Wenn die Lebenserwartung sinkt, wird das möglicherweise dazu führen, dass die
Menschen im Alter mehr Leid erleben werden und diesem Zustand länger ausgesetzt
sein werden als heute (wo sich dieser Zustand vergleichsweise auf kürzere Zeit
komprimiert).
x
In einem zweiten Beitrag des gleichen Heftes wird dargelegt, dass
Generationenkonflikte zwischen Alt und Jung nicht so stark sind und sein werden, wie
von vielen befürchtet. Als Gründe werden drei Annahmen genannt: Die Zustimmung
dazu, dass die Alten zu versorgen sind, ist in der Gesellschaft sehr groß. Außerdem
seien die Interessenlagen der Alten zu heterogen, als dass es zu einem einheitlich,
homogenen Interessen der ganzen Kohorte kommen würde. Auch die relativ engen
Verbindungen in den Familien sprächen für geringe Konfliktrisiken, denn die führten
dazu, dass die gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme relativ stark
ausgeprägt sind.
Fazit: Im Falle einer geringeren Lebenserwartung und schlechterer Wirtschaftskraft ist
m.E. mit erheblichen Veränderungen zu rechnen: Die Belastung der jüngeren,
arbeitenden Bevölkerung nimmt zu, was das Verständnis der arbeitenden Bevölkerung
für die Notwendigkeit der Mitversorgung der älteren Generationen auf eine Probe
stellen wird. Der Wettbewerb von Betroffenengruppen um Anteile aus den Sozialletats
wird zunehmen, weil das zu verteilende Gesamtvolumen sinken wird.
Viel wird von der Solidaritätsbereitschaft der Bevölkerung abhängen:
Zitat aus dem Fazit des Artikels (es geht darum, wie stabil die
Generationensolidarität ist und wovon sie abhängt): „Dennoch ist die
wohlfahrtsstaatliche Generationensolidarität in Zeiten des demografischen
Wandels und fiskalischer Austeritätszwänge kein Selbstläufer. Die
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 37 von 83
Solidaritätsbereitschaft zwischen den Generationen hängt zukünftig auch davonab, dass die Politik die gemeinsamen Interessen von Jung und Alt betont undeine spalterische Rhetorik vermieden wird (Streeck 2009: 9). Darüber hinaus gilt
es, auch im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Reformen –
und das heißt mithin in
Zeiten sozialpolitischer Einschnitte –
diese Solidaritätsbereitschaft zu
bewahren und ihre Basis nicht
zu
zerstören.“
Ob unter den harten Realbedingungen einer massiven Wirtschafts-und
Gesellschaftskrise, sowie bei abgesenktem Wohlstandsniveau, Werbekampagnen der
Regierungen in den Medien zur Erhörung der generationenübergreifenden Solidarität
in der Gesellschaft (wie sie heute vielfach bei vergleichbaren Anlässen unter Berufung
auf und Betonung von ethischen Normen gefahren werden) noch beitragen können,
erscheint fraglich. Vielleicht werden sie von der Bevölkerung eher als Zynismus
empfunden, durch den sich ihr Ohnmachtsgefühl eher noch verstärkt.
Funktionieren wird das vielleicht noch so lange, wie der Staat zum Füllen der Renten-
und Sozialkassen zusätzliche Schulden machen kann. Denn staatliche Transfers sind
offenbar so etwas wie Anschubfinanzierungen und Motivator für das Praktizieren
privater Solidarität:
„Öffentliche Transfers bilden
die Grundlage für private, innerfamiliäre
Transferleistungen zwischen den Generationen, und insbesondere für die
Armen unter den Älteren besteht das Risiko einer verringerten Einbindung infamiliäre Zusammenhänge aufgrund geringer Ressourcen (Szydlik 2008: 18).
Daher besteht nicht zuletzt im Interesse der Generationensolidarität auch in
Zukunft die Notwendigkeit einer Renten-und Sozialpolitik, die die ärmerenSozialschichten berücksichtigt und ihnen eine vollwertige Teilhabe am sozialen
Austausch
ermöglicht.“
Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 5 aus 2013
In einem Beitrag aus 2013 wird Bezug genommen auf das „Dritte Alter“, in dem
die
Menschen trotz fortgeschrittenen Lebensalters eine hohe Autonomie und
Lebensqualität erfahren.
„Alternsforscher bezeichnen den Lebensabschnitt zwischen dem Eintritt in den
Ruhestand und dem Beginn dauerhafter Einschränkungen in Folge von Krankheiten,
die eine Abhängigkeit von anderen Menschen begründen, als „Drittes Alter“. Es
handelt sich um eine relativ neue Lebensphase, die sich in Deutschland seit der Mitte
des 20. Jahrhunderts im Zuge der allgemeinen Lebensverlängerung
herausbildete.“
(Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 5 aus 2013, Seite 2)
Gesellschaftliche Veränderungen werden diese Phase verkürzen, wenn die Leistungen
des Gesundheitswesens und der Sozialversorgung aufgrund starken Geldmangels und
Wohlstandsverlusts der Gesellschaft zurück gefahren werden müssen.
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 38 von 83
Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 6 aus 2015
Beitrag (Bevölkerungsforschung -aktuell, Heft 6 aus 2015).
Aus dem Vorwort: „Zu den
großen Errungenschaften moderner Gesellschaften gehört
der bemerkenswerte Anstieg der Lebenserwartung. Verantwortlich für diese
Entwicklung ist neben dem Wachstum des Wohlstands und der Zunahmegesunder Lebensweise auch die medizinische Versorgung.“
Fazit: Das bedeutet umgekehrt, dass eine Schrumpfung des Wohlstands zu einer
geringeren Lebenserwartung führen wird. Durch die von den Schutzmaßnahmen
ausgelöste Wirtschafts-und Gesellschaftskrise verlieren die Mitglieder unserer
Gesellschaft Lebensjahre. Da der Zuwachs der Lebenserwartung innerhalb der letzten
50 Jahre bei über zehn Jahren liegt (sowohl bei Frauen, als auch bei Männern, als
auch bei ), muss davon ausgegangen werden, dass für den Fall eines Rückfalls auf
das Wohlstandsniveau des Jahres 2000 oder gar des Jahres 1980 mit einem Verlust
von mindestens einer Größenordnung von mehreren Millionen Lebensjahren für
unsere Gesellschaft auszugehen ist.
5.6 Exkurs Lebensqualität im Alter und Sterblichkeit
(Quelle: Methoden und Grundlagen des Lebenslagenansatzes, ZeS (Zentrum für Sozialpolitik) der Uni Bremen,
Wolfgang Voges, Olaf Jürgens, Andreas Mauer, Eike Meyer, Endbericht , November 2003, zum Download auf
der Internetseite des BMAS:
http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDFPublikationen/forschungsprojekt-a350-methoden-und-grundlagen-deslebenslagenansatzes.
pdf?__blob=publicationFile)
Lebensqualität im Alter ist u.a. von dem Renteneintrittsalter abhängig. Durch die
Notwendigkeit länger arbeiten zu müssen, verringert sich folglich die Lebensqualität.
„Im
letzten
Drittel
der
Erwerbsphase
wird
Personen
erst
richtig
bewusst,
dass Lebenszeit
ist
ein knappes Gut ist. Vor diesem Hintergrund sind sie an einem möglichst frühen Ausscheiden
aus dem Erwerbsleben interessiert, um sich nicht mehr den Zwängen belastender
Erwerbsarbeit
unterwerfen
müssen.“
(Seite 145)
Der vorzeitige Ausstieg aus dem Arbeitsleben ist nur auf eine Interessenlage zurück zu
führen, sondern korrespondiert mit den Belastungen des Arbeitslebens.
„Die Wahrnehmung
von
Arbeitsanforderungen als Belastungen resultiert häufig aus
abnehmenden individuellen Leistungsvermögen sowie nicht mehr ausreichenden Ressourcen,
um sich die aus der Arbeitstätigkeit ergebenden erhöhten Beanspruchung ausgleichen zu
können. Von den Arbeitnehmer in der Spätphase des Erwerbslebens, die über ernste
Symptome körperlicher und geistiger Erschöpfung klagen, hatten vier Fünftel in Erwägung
gezogen, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und Rente zu gehen (Voges 2003c).
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 39 von 83
Ein Fünftel aller Rentner scheidet wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vorzeitig aus demErwerbsleben (VDR 2001). Bei nahezu zwei Dritteln dieser Frührentner handelt es sich um
vormalige Arbeiter. Dagegen kommt mehr als die Hälfte der Frührentnerinnen aus demAngestelltenbereich. In neun von zehn Fällen liegt eine Krankheit vor und nur bei jedem
Zehnten
ein Unfall.“
(Seiten 145-146)
Der Anteil vorzeitiger Aussteiger aus dem Arbeitsleben ist seit längerem relativ hoch (im
vorherigen Zitat wurden Zahlen von 2001 berücksichtigt). Bei einem stärkeren Wettbewerb
und zunehmender Belastung auf dem Arbeitsmarkt ist damit zu rechnen, dass diese Zahl
weiter steigen wird. Möglicherweise muss in der Not trotzdem weiter gearbeitet werden, was
allerdings zu einer geringeren Lebenserwartung führen wird.
Selbst bei Frühverrentungen nach dem heutigen System (bei stabilem Wohlstand), hatten die
Betroffenen durchschnittlich schneller stark beeinträchtigende gesundheitliche Probleme, als
die länger arbeitenden.
„Ein früher
Übergang
aus dem
Erwerbsleben
in den
Ruhestand bedeutet daher keinesfalls,
dass sich dadurch ein unbeschwertes Rentnerdasein mit besseren Lebenschancen eröffnet.
Die Realität zeigt vielmehr, dass die Chancen dafür je nach Verrentungszeitpunkt im
Lebensverlauf höchst unterschiedlich verteilt sind. Von den GEK-Versicherten werden 5 % mit
55 bis 57 Jahren, 38 % mit 58 bis 60 Jahren, 44 % mit 61 bis 63 Jahren und nur 13 % mit 64
bis 66 Jahren verrentet. Die gesundheitlichen Beschwerden führen dazu, dass bei den im Alter
von 55 bis 57 Jahren Verrenteten Pflegebedürftigkeit früher im Lebensverlauf auftritt als bei
denen, die zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Von diesen
Frührentnern
ist
bereits
bei
Rentenbeginn
mehr
als ein Prozent
pflegebedürftig.“
(Seite 146)
Ihre Pflegebedürftigkeit tritt schneller ein und belastet die Gesundheits-und Sozialsysteme.
Ihr Sterblichkeitsrisiko steigt stark an.
„Nach
fünf
Jahren
ist
der
Anteil
nur
geringfügig angestiegen,
da ein großer
Teil
der
pflegebedürftigen inzwischen verstorben ist. Ein Fünftel der mit 55 bis 57 Jahren Verrenteten
ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Ein Vergleich mit den im Alter von 58 bis 60 Jahren,
61 bis 63 Jahren und 64 bis 66 Jahren Verrenteten zeigt, dass das Pflegerisiko für diese
Rentner deutlich unter einem Prozent liegt. Auch das Sterblichkeitsrisiko reicht mit 5 bis 6 %
kaum
an
das
der
55
bis
57jährigen Frührentner
heran (Voges 2003c).“
Trivial erscheint die Erkenntnis, dass die Vulnerabilität von Rentnern -und damit ihre
Lebensqualität -von ihrem Gesundheitszustand abhängt.
„Die gesundheitlichen Probleme erhöhen
auch
die Vulnerabilität der
Lebenslage von
Rentnern.“
(Seite 147)
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6. Auswertung der Erfassung von Daten, die für
Gefährdungsbewertungen und Entscheidungen über
Maßnahmen herangezogen wurden
Als Datenquelle für die Gefährdungseinschätzung stehen dem Krisenmanagement zur
Verfügung:
x
täglich aktuelle Meldungen und Analysen des gemeinsamen Krisenstabs von BMI und
BMG (diese werden vom Robert-Koch-Institut zusammengestellt und fokussieren die
gesundheitliche Lage; seit kurzem ergänzt durch einzelne Bausteine aus anderen
Sicherheitsrelevanten Bereichen wie z.B. BW, Extremismus)
x
Meldungen des internen BMI-Lagedienstes (herausgegeben vom Lagezentrum des
BMI und basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)
x
Lagedienst Innere Sicherheit (herausgegeben vom Lagezentrum des BMI und
basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)
x
Berichte und Lageberichte des Cyber-Abwehrzentrums (Cyber-AZ)
x
Berichte und Lagemeldungen des BSI (unterschiedliche Formate auf Tages-, Wochen
und Monatsbasis)
x
Lageberichte des BBK zum Status in Kritischen Infrastrukturen
x
Lageberichte des Gemeinsamen Melde-und Lagezentrums von Bund und Ländern
(GMLZ)
Die vorgenannten Aufbereitungen sind nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern einem
begrenzten Kreis von Menschen zugänglich, insbesondere denen, die mit dem
Krisenmanagement in der Coronakrise befasst sind (Bundes-und Länderebene). Die
Aufbereitungen unterliegen einer besonderen Vertraulichkeit (VS –
nur für den
Dienstgebrauch) und dürfen nicht nach außen gegeben werden. Den Aufbereitungen liegen
jedoch Daten zugrunde, die überwiegend gleichzeitig veröffentlicht werden (siehe die
öffentlich zugänglichen Lageberichte des RKI auf dessen Website).
Einige der genannten Quellen wurden im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch analysiert auf
Verwertbarkeit für die Gefahrenerkennung und für die Gefahrenerkennung im Bereich der
Kritischen Infrastrukturen.
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6.1 Auswertung der BMI Lageberichte (bis 7. April 2020)
Verteiler: BMI-Lageberichte: intern BMI; Lageberichte Innere Sicherheit: ChBK, AA, BMF,
BMJV, BMVg, BMAS, BMEL, BMG, BMU, BMVI, BMZ, BMWi, BPA, BPrA, BT, Alle IM, BAMF
(LZ), BBK, GMLZ, BDBOS, BfV, BKA Wiesbaden, BKA Berlin, BKA Meckenheim, BPOLP,
BSI, THW, BND, ZKA, DHPol, GBA
In den Lageberichten des BMI (und wortgleich in den Lageberichten Inneres Sicherheit), die
die Grundlage für Bewertungen und Entscheidungen des Krisenmanagements bildeten,
wurden folgende Daten zur Beschreibung der potentiellen Gefahren des Covid-19 Virus
erfasst. In der ersten Phase, wurden vor allem zwei Werte erfasst und deren Ableitungen
(Zunahme, später Umrechnung auf je 100.000 Bevölkerung, …):
a) Zahl der positiven Testungen (wurden als Infizierte oder Fälle ausgegeben)
b) Zahl der Verstorbenen
Eine Übersicht der Daten enthält die folgende Tabelle:
Die Auswertung der vorstehenden Daten offenbart:
1. Die Berichterstattung war teils lückenhaft.
2. Die Berichtskategorien veränderten sich mehrfach, teilweise wurden frühere wieder
aufgegriffen.
3. Die Daten widersprachen sich teilweise (Stagnation von Entwicklungen, rückläufige (!)
Gesamtzahl von
Todesfällen, …).
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4. Die Daten der Lageberichte waren für die Einschätzung der Gefahr, die von dem
Coronavirus ausgehen, nicht geeignet (siehe die anderen Kapitel dieses Berichts). Die
Gefahren, die real von dem Virus für die Bevölkerung Deutschlands ausgeht, konnte
damit nicht erfasst werden.
5. Auch die internationalen Zahlen wurden ohne Beachtung des jeweils spezifischen
nationalen Kontextes in die Berichte eingebunden und haben durch die Aufnahme in
die Berichterstattung im Krisenstab indirekt Handlungsdruck erzeugt. Es wurde immer
gerade über die Länder berichtet, in denen spektakuläre Spitzen zu beobachten
waren. Eine verallgemeinerbare Erkenntnis konnte daraus nicht gewonnen werden.
Entlastende Daten wurden nicht aufgenommen, obwohl auch sie öffentlich verfügbar
waren (z.B.:
https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest).
6. Im Gegenteil: Trotz überhöhter Angaben über Coronatote wurde erkennbar, wie gering
die Gefahr gegenüber alltäglichen gesundheitliche Risiken (wie einer Influenzawelle)
tendenziell stets war (siehe die blaugedruckte Vergleichszahl in der untersten Zeile der
Tabelle.
7. Die Zuschlagung von jeglichen Verstorbenen, die infiziert waren, zu den Zahlen für
Coronatote führte (und führt weiterhin) zu einer Verzerrung bei der Wahrnehmung des
Sterbegeschehens und verhindert unter anderem auch, dass die Folgen der
Kollateralschäden diesen auch zugeordnet werden können. Sie blieben somit
statistisch unsichtbar. –
Beispiel: Eine Person, die keiner gefährdeten Gruppe
angehört, und die trotz Infektion nicht an Covid-19 erkrankte, stirbt, als ihre fest
eingeplante Herz-OP wegen Absage der Klinik nicht erfolgen kann an den
Herzproblemen; diese Person würde nicht als Opfer der Schutzmaßnahmen, sondern
als Opfer der Virusinfektion gezählt. Die Aussagen der Statistik stellen die wahren
Verhältnisse in diesem Fall auf den Kopf
Diese hochproblematische Zählweise und Zählverfahren zur Dokumentation von
Coronatoten, die vom RKI bereits Anfang März 2020 eingeräumt wurden, führen
bis heute zu einer Verfälschung und Manipulation der Daten, da sie dieAuswirkungen der Schutzmaßnahmen maskieren und geeignet sind zu
verhindern, die beiden zentralen Gefahren für unsere Gesellschaft (Gefahren
durch Krankheit, Gefahren durch Schutzmaßnahmen) im Vergleich bewerten zu
können. In dieser Verfälschung von elementaren Schlüsseldaten ist derGrundstein zu falschen Entscheidungen zulasten der Bevölkerung gelegt.
Fazit: Die Berichterstattung in den Lageberichten des BMI war für die Einschätzung der
ganzheitlichen Gefahrenlage, mit der unser Land konfrontiert ist, nicht brauchbar, weilsie sich ausschließlich mit gesundheitlichen Aspekten befassten. Ein Monitoring über
Kollateralschäden fand nicht statt. Selbst die gesundheitlichen Daten waren nichtgeeignet, um das Ausmaß der Gefahren für unserer Gesellschaft einzuschätzen, siewaren nicht differenziert genug, insbesondere nicht in den Kontext des Gesamt
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Sterbegeschehens in unserem Land eingebettet. Die in den Berichten dokumentierten
Daten waren aber nicht nur unbrauchbar, sondern verhinderten oder erschwerten
durch einen Effekt, den ich beispielhaft in Punkt 7. erläutert habe (s.o.), eineBestandsaufnahme von weiteren entscheidungsrelevanten Daten, die zudem (noch)
nicht Gegenstand der Lageberichte sind. Abhängig von dem Ausmaß der Um-
Etikettierung steht die Vermutung im Raume, dass die Daten desEntscheidungsprozesses des Krisenmanagements als manipuliert gelten müssen.
Ich selbst habe schriftlich mehrfach meine Vorgesetzten darauf hingewiesen und konkrete
Vorschläge dazu gemacht, welche aussagekräftigen Daten erhoben, bzw. von den Ressorts
eingefordert werden müssten (Anlage 5). Die Ausführungen enthalten auch umfassende
Erläuterungen zum Verständnis der Funktion der Daten für die Gefahrenbewertung und im
Krisenbewältigungsmechanismus, nicht nur im gesundheitlichen Bereich. Dem Krisenstab
lag ein Teil meiner Analysen und Anregungen/Vorschläge seit dem 23. März 2020 vor
(Anlage 6), eine „Politologische Analyse“ legte ich in
erster Fassung am 27. März 2020 vor
(finalisierte offizielle KM 4 -Fassung vom 7. Mai 2020 in Anlage 8).
6.2 Auswertung des neuen Lagebildes des Krisenstabs von BMI und BMG
(ab 8. April 2020)
Ab dem 8. April 2020 wurde die Berichterstattung über die aktuellen Coronadaten in den BMI-
Lageberichten beendet. Es wurde verwiesen auf den gesonderten Lagebericht des
Krisenstabs von BMI und BMG, der die Berichterstattung übernehmen sollte. Auch dieses
neue Format befasst sich mit den gesundheitlichen Aspekten. Ein Monitoring über
Kollateralschäden findet nicht statt.
Vorbemerkung
Daten werden gebraucht, um die Gefährlichkeit des Virus für die Bevölkerung in DEU zu
ermessen. Hier ist die Geeignetheit der Lageberichte für diesen Zweck untersucht.
Ob die Gefahr so groß ist, dass gesonderte Schutzmaßnahmen zu treffen sind, und wie
umfassend die Maßnahmen sein sollten, hängt davon ab, wie viele Personen, nach
professioneller und sehr sorgfältiger Prognose, voraussichtlich zusätzlich zu den
durchschnittlich zu erwartenden Todesfällen unserer Gesellschaft durch den neuen
Virus sterben werden.
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Da auch Schutzmaßnahmen Nachteile und Risiken bergen, einschließlich Todesfällen, ist der
Umfang von Maßnahmen durch Gegenüberstellung der Auswirkungen zu ermitteln
(Auswirkungen ohne und mit Schutzmaßnahmen).
Kritische Anmerkungen (auf der Basis des Berichts vom 9.4.20)
x
Die Zahl der Fälle umfasst offenkundig Personen, bei denen der Virus nachgewiesen
wurde, nicht die der erkrankten Personen und nicht die der bereits immunisierten.
Durch eine folgenlose Infektion entsteht kein Schaden bei den Infizierten (ebenso bei
leichten bis mittelschweren Krankheitsverläufen sowie Immunisierten). Zur
Einschätzung der Gefahr wird primär die Zahl der an dem Virus so schwer Erkrankten
benötigt, dass sie dadurch sterben könnten, denn das ist Gegenstand der Gefahr, die
das Krisenmanagement des Staates von der Gesellschaft abzuwehren hat. Die Zahl
der symptomlos Infizierten wird gesondert benötigt –
zur Einschätzung von
unterrangigen Teilgefahren (Infektionswahrscheinlichkeit). Zahlen eines aktuellen
Berichtswesens sind nur wenn sie in diese beiden großen Blöcke differenziert werden,
als handlungsrelevante Informationen von Bedeutung und können nur in dieser
Zusammenstellung und im Kontext mit anderen Indikatoren zur Maßnahmenplanung
verwertet werden.
x
Es wird die tägliche Zunahme der Zahlen übermittelt. Es fehlt jedoch die Zahl von im
gleichen Zeitraum durchgeführten Tests, sowie der Anteil der Gründe für das Testen
(wegen coronaspezifischen Beschwerden oder Krankheitszeichen, anderen
Verdachtsmomenten,
als Nebenbefund einer anderen Untersuchung, anlasslos, …).
Daraus hätten u.a. Erkenntnisse über den Grad der Durchseuchung gewonnen werden
können.
x
Todesfälle sind inzwischen offenbar eingegrenzt auf an dem Virus erkrankte Personen
(„2.107 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“). Es dürfte jetzt
also keine Person mehr mitgezählt worden sein, die zwar den Virus trug, aber nicht an
ihm erkrankt war. Ist das wirklich so? Kann man sich darauf verlassen?
x
Bei der Analyse der Fälle und der für die Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus
besonders wichtigen Todesfälle, wird zwar das Lebensalter statistisch ausgewertet,
nicht jedoch
der Zustand der Person („86% der Todesfälle und
16% aller Fälle sind 70
Jahre oder älter“). Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit ist von besonderer
Bedeutung, wie groß der Anteil derer ist, die auch ohne Virusinfektion kurz vor dem
Tod standen, bei denen der absehbar bevorstehende Tod mit keinem Mittel hätte
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verhindert werden können. Dazu werden für den betrachteten Zeitraum die Zahlen
durchschnittlicher Sterbefälle benötigt (nach Todesursachen und ggf. Alter).
x
Es wird von Häufungen in Pflegeheimen und Krankenhäusern gesprochen („Es häufen
sich Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters-und Pflegeheimen sowie
in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen
vergleichsweise hoch.“).
Damit war ein Hinweis auf eine extrem dominante Zielgruppe
/ Risikogruppe gegeben. Das hätte zwingend Anlass sein müssen, den
vorhergenannten Aspekt zu überprüfen und eine spezifische Schutzstrategie zu
entwickeln, sowie die allgemeinen Einschränkungen für die breite Bevölkerung zurück
zu nehmen, bzw. dies zu empfehlen.
x
Zeitlicher Verlauf: Die Grafiken zum zeitlichen Verlauf: Es bleibt offen, ob die
unterschiedliche Erfassungsarten zu Mehrfachzählungen des gleichen Falles führen
können. Besser wäre eine Grafik gewesen, bei der (im Rückblick) die Fälle nach
Ausbruch der Krankheit dargestellt würden (also der für den Prozess relevante
Zeitpunkt) -gemacht wird in der Folgegrafik das Gegenteil, es wird gesondert nach
Meldungstagen aufgeschlüsselt. Deutlich wird aus der ersten Grafik, dass die
Fallzahlen bereits im Sinken waren, als die Maßnahmen beschlossen und umgesetzt
wurden (Ende März 2020).
x
Demografische Verteilung: Hierbei wäre die Verteilung für die Todesfälle relevant (also
die Zahlen für die größte Gefahr, vor der der Staat schützen soll), nicht die der
Gesamtheit aller Infizierten (also auch aller dauerhaft symptomfreien). Dieser Teil des
Berichts ist zweckfrei.
x
Klinische Aspekte: „Für 82.187
übermittelte Fälle liegen klinische Informationen vor.“
Analyseergebnisse dieser Stichprobe sind nicht auf die Gesamtzahl übertragbar, da
nicht angegeben wird, wie viel Prozent der Toten auf diesen 75-prozentigen Anteil der
Infizierten entfallen.
Im gleichen Abschnitt wird dann über die 2.107 Verstorbenen gesprochen, also geht es
nicht mehr um die zu Beginn des Abschnitts eingeführten Fälle, für die medizinische
Informationen vorlagen.
x
Unter Klinischen Aspekten werden weitere demografische Aspekte behandelt: „Der
Altersmedian liegt bei 82 Jahren, die Spanne zwischen 26 und 105 Jahren. Von den
Todesfällen waren 1.819 (86%) Personen 70 Jahre und älter. Im Unterschied dazu
beträgt der Anteil der = 70-Jährigen an allen übermittelten COVID-19-Fällen nur 16%.
–
Es häufen sich in den letzten Tagen Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche inAlters-und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist
die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch.“
Da diese HauptZielgruppe/
Risikogruppe offenbar die höchste Altersgruppe ist, auf die auch in
normalen Zeiten der größte Anteil von üblicherweise Versterbenden in DEU entfällt
(jährlich etwa 920.000 in DEU), hätten hier weitere Differenzierung angestellt werden
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müssen, um für das Krisenmanagement verwertbare Daten zu gewinnen –
also Daten,
die wirklich zweckgerichtete Maßnahmen ermöglichen (s.o.).
x
Die Reproduktionszahl ist ein Abstraktum, das nicht ausreichend erklärt wird. Als
Krisenmanager kann ich nicht erst einem angegebenen Link folgen und mich in eine
wissenschaftliche Methodik einarbeiten, bevor ich meine Arbeit fortsetze. Ein
Krisenmanagement kann damit nicht viel anfangen. Diese Zahl in dem Bericht
aufzuführen, dient nicht der besseren Orientierung, sondern der Verwirrung des
Krisenmanagements. Das gilt insbesondere, da diese Zahlen ohnehin als unsicher
beschrieben werden und/oder auf Zahlen beruhen, die ebenfalls unsicher sind.
x
Daten zu den Intensivbetten sind unzuverlässig, weil das Erfassungssystem umgestellt
wurde. Informativ wäre den Auslastungsgrad der verfügbaren Kapazitäten auf einen
Blick zu sehen.
x
„Ergebnisse aus weiteren Surveillance-Systemen des RKI zu akuten respiratorischen
Erkrankungen“: Mit den aufwendigen Schutzmaßnahmen verbreiteten sich –
wie zu
erwarten war –
auch alle möglichen anderen Krankheiten. „Die kontaktreduzierenden
Maßnahmen, die in ganz Deutschland durchgeführt werden, haben scheinbar deutlich
zur Reduktion der Übertragung akuter Atemwegserkrankungen
beigetragen.“
–
Diese
Information ist unvollständig und muss in handlungsrelevante Aussagen umformuliert
werden, etwa so: „Durch die sozialen Isolations-und Distanzierungsmaßnahmen
wurden Erkrankungen nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben.“ Es fehlen
Angaben
oder Prognosen für die Alternativstrategie der schnellen Durchseuchung. Diese
Informationen sind unvollständig und somit für die Entscheidungsfindung über
Maßnahmen irrelevant, solange Schlüsseldaten nicht vorliegen -z.B. zum
gegenwärtigen Durchseuchungsgrad und zur Abgrenzung der gezielten
Durchseuchungsstrategie.
x
Anmerkung zur Durchseuchung: Den Durchseuchungsgrad repräsentativ zu erheben
dauert meiner Kenntnis nach zwischen 7 und 10 Tagen. RKI hat am 8. April
angekündigt, Studien dazu zu starten. Es ist außerdem völlig unerklärlich (und ein
schwerer technischer Fehler des Krisenmanagements), dass diese noch nicht
durchgeführt wurden, insbesondere nachdem diese Studien seit Wochen öffentlich
gefordert wurden.
x
Bei den komplizierten und verwirrenden Ergebnisse aus den Surveillance-Systemen
des RKI ist nicht nachvollziehbar, was sie zu der Gefahreneinschätzung durch das
Krisenmanagement beitragen können.
x
Risikobewertung durch das RKI: Diese Risikobewertung mag für eine ganz spezielle
Sicht von Wissenschaftlern und Fachstatistikern nachvollziehbar sein. Für die
Einschätzung der Gefahren, die von dem Virus für die Gesamtbevölkerung ausgehen,
ist diese Bewertung des RKI nicht verwertbar:
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o
„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und
ernst
zu nehmende Situation.“
Damit ist nicht viel gesagt. Woran macht sich
fest, dass die dynamische Situation ernst zu nehmen ist? Was genau bedeutet
„ernst nehmen“ in
diesem Zusammenhang?
Ob und wie ernst
die Entwicklung
genommen werden muss, entscheiden die Krisen-Manager, nicht die
wissenschaftlichen Berater (denn die kennen offenbar die
Abgrenzungsindikatoren für die gesellschaftliche Risikoermittlung nicht).
o
„Bei einem Teil der Fälle sind
die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche
Krankheitsverläufe kommen vor.“
Für den bundesweiten Bevölkerungsschutz
muss die zu erwartende Wirkung auf das gesamte Land betrachtet werden. Für
das IT-Sicherheitsgesetz wurde bei vielen Sektoren/Branchen eine Betroffenheit
von 500.000 Bürgern als relevante Größenordnung festgelegt. Dabei ging es
zwar nicht um Menschenleben und Lebenszeit von Menschen, aber es wird
deutlich, dass die Bewertung von Risiken, wie z.B. von tödlichen
Krankheitsverläufen, immer von deren Menge in Bezug auf die Gesamtzahl
abhängt.
o
„Die Zahl der Fälle in
Deutschland steigt
weiter an.“
Diese Aussage alleine führt
zu keiner sinnvollen Erkenntnis für das Krisenmanagement (s.o.).
o
„Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird
derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen
als sehr hoch.“
Aus
den vorgenannten Zahlen ist noch
nicht
ableitbar, dass „die“ Gesundheit einer
Bevölkerung von 80 Mio. Menschen hoch gefährdet ist –
an der normalen
Grippe sind in den letzten Jahren teilweise mehr als zehn Mal so viele
Menschen gestorben, wie bisher dieses Jahr im Zusammenhang mit Corona
verstarben. Wichtiger ist jedoch: Ohne Kenntnis der Zahlen von explizit an
Corona verstorbenen und ohne Kenntnis des Durchseuchungsgrads derBevölkerung können gar keine Aussagen zur Gefährdung der Bevölkerung
gemacht werden!
o
Wie auch immer man einen Wirkungsvergleich zwischen Corona und Influenza
im Einzelnen beschreiben möchte, angesichts der folgenden Vergleichszahlen
bedarf es einer wirklich überzeugenden zusätzlichen Erklärung und
Legitimierung für die im Zusammenhang mit Corona ergriffenen schweren
Schutzmaßnahmen:
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Todesfälle Zusätzlich Todesfälle Zusätzlich
durch ergriffenedurch ergriffene
Influenza Schutzmaßnahmen Corona Schutzmaßnahmen
in 2017/18 in 2020
in DEU 25.000 keine ca. 5.500 umfassende
Maßnahmen;
zu einer schweren
Wirtschafts-und
Gesellschaftskrise
führend
weltweit 1.500.000
(1,5 Mio.)
keine ca. 200.000 differenzierte
Maßnahmen;
unterschiedlich
ausgeprägt
o
„Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit
zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung
variiert von Region
zu Region.“
Das ist kein Alleinstellungsmerkmal für Corona,
sondern trivial, so isoliert betrachtet ohne weiteren Erkenntnisgewinn.
o
„Die Belastung
des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen
Ausbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleitetenGegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab undkann örtlich sehr hoch
sein.“
Das sind relative Aussagen und Trivialitäten, die
für die Bewertung von Gefahren keine konkret messbaren oder überprüfbaren
Anhaltpunkte bieten.
o
„Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue
Erkenntnisse ändern.“
Die
Einschätzung des RKI ist für langfristig wirksame Maßnahmen offenbar
grundsätzlich nicht verwertbar.
Ergänzung: Auch am 7. Mai 2020 enthielt der Lagebericht des Krisenstabs BMI-BMG immer
noch keine Dokumentation der Kollateralschäden!
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Ende der TranskriptionAmtswegigkeit Objektivität Wahrheitsforschung Amtswegigkeit Objektivität Wahrheitsforschung Amtswegigkeit Objektivität Wahrheitsforschung Amtswegigkeit Objektivität Wahrheitsforschung Amtswegigkeit Objektivität Wahrheitsforschung Amtswegigkeit Objektivität Wahrheitsforschung 2014 GUIDO GRANDT DENKEN SIE IMMER DARAN SIE HABEN EIN RECHT AUF DIE WAHRHEIT.jpg

Es gilt die Unschuldsvermutung.